Ulm News, 07.08.2011 00:00
Schulabschluss für Schulverweigerer
Für Timo S. war es ein besonderer Tag. Er machte die Prüfungen für den Hauptschulabschluss, für die er zwei Jahre lang lernte. Der 16-Jährige, der in einer süddeutschen Stadt lebt, geht nicht zur Schule, er war lange Jahre ein Schulverweigerer. Mit Hilfe von Steffi Jöst vom Jugendhilfeverein Phöinix bereitete sich der junge Mann an der Fernschule FLEX in Breisach-Oberrimsingen auf den Abschluss vor. Es war harte Arbeit für den Schüler und die Betreuerin.
Die Mitarbeiter von Jugendhilfe Phöinix bereiteten drei Jugendliche auf den Hauptschulabschluss vor. Diese Kids flüchteten aus der Familie, lebten auf der Straße, wurden aggressiv, verschlossen oder kontaktscheu. Ihnen konnte nur geholfen werden, indem sie ihre Familie verließen und jetzt fern von ihrem Heimatort in einer Betreuungsstelle leben. Diese Betreuung koordiniert der Jugendhilfeverein „jugendhilfe phöinix e.v.“ mit Sitz in Lindau. Alle drei Jugendlichen waren aus verschiedenen Gründen nicht in der Lage, in eine normale Schule integriert zu werden. Timo S. zum Beispiel lebte als Kind im Milieu und konnte bis zum Alter von 14 Jahren eins und eins nicht zusammenzählen, berichtet Steffi Jöst, die in Lindau die Geschäftsstelle Süd des Vereins leitet und Johann in seiner Betreuungsstelle organisiert. Der junge Mann war schulisch völlig blockiert. Mit der Fernschule FLEX des Caritasverbands Freiburg gibt es aber auch für solch schwierige Fälle eine Lösung. Über FLEX machen sogar Jugendliche, die auf der Straße leben, ihren Abschluss. Sie lernen in den Wärmestuben, Notunterkünften oder Notschlafstellen, wenn sie regelmäßig betreut werden. „Unsere schwierige Aufgabe ist es, die Jugendlichen, die sich meist nicht selbst organisieren können und wenig Antrieb und Ehrgeiz haben, zu motivieren und bei der Stange zu halten“, erklärt die Sozialpädagogin, die seit Jahren mit Straßenkids zusammenarbeitet. „Wir bestärken sie, zusammen mit FLEX wieder an ihre eigenen Pläne und Ziele zu glauben.“ Viele Kinder, die meist aus familiären Gründen völlig aus der Bahn geworfen wurden, hätten ganz normale Wünsche, berichtet Steffi Jöst: „Sie wollen einmal eine Familie haben, ein Auto, Urlaub oder auch ein Haus bauen“. Johann wurde klar, dass der Weg dorthin nur über Schule und Ausbildung führt. „Diese Erkenntnis ist der erste wichtige Schritt“, erklärt die Betreuerin. Als Schüler störte und provozierte Timo und schwänzte den Unterricht. Das hatte große Wissenslücken zur Folge. „Eine normale Schule war nicht möglich“, erklärt die Pädagogin aus Lindau. Die FLEX-Schule des Caritasverbands Freiburg ist eine „Hilfe zur Erziehung“ und wird vom Jugendamt finanziert. Hier können junge Erwachsene, wie man es von einem Fernstudium kennt, den Haupt- oder Realschulabschluss machen. „Nicht jeder, der von Phöinix betreut wird, kann jedoch FLEX machen. Die Jugendlichen müssen beweisen“, so die Sozialpädagogin, „dass sie es wirklich wollen, indem sie bestimmte Aufgaben zuverlässig, regelmäßig und vor allem selbstständig erledigen“. Das kann dauern. Es ist oftmals ein langer Prozess, denn die Jugendlichen müssen verstehen, dass sie „für sich selbst lernen und nicht für den Betreuer, den Staat, die Eltern oder das Jugendamt“. Erst dann erhalten sie die FLEX-Unterlagen, mit denen der Wissenstand schriftlich abgefragt wird. Die Jugendlichen haben diese selbst auszufüllen und abzuschicken. „Mit der Aufnahme in die FLEX-Schule wird die Verantwortung in die Hände der Jugendlichen gelegt, die deswegen zunächst meist sehr motiviert sind. „Wir unterstützen das durch flexibles Lernen“, so Steffi Jöst. Hier gibt es neben Hausaufgabenbetreuung und festen Lernzeiten mehrere Möglichkeiten. So ist ein Jugendlicher zuständig f& ;amp; ;uuml;r die Haushaltskasse, soll Sonderangebote eruieren und Budgets berechnen. Ein anderer Jugendlicher wurde in Planungen von Jobs wie Gartenpflege oder Autoreparatur eingebunden. Steffi Jöst: „Damit wird das Erlernte geübt und macht Sinn für die Jugendlichen“. Ein Problem ist der oft völlig unterschiedliche Wissenstand. Wer gut in Deutsch ist, muss nicht unbedingt Rechnen oder Englisch können. Die Schule geht hier sehr flexibel vor und lässt als Prüfungsfach auch mal Italienisch zu statt Englisch, wenn es mit der Weltsprache ganz und gar nicht funktioniert. In den zwei zurückliegenden Jahren gab es Höhen und Tiefen für die Jugendlichen, aber auch für Steffi Jöst. „Wir hatten Erfolgserlebnisse, aber auch große Krisen, in denen alle das Projekt hinwerfen wollten“, so die Betreuerin. Dass die Drei – Timo war genauso aufgeregt wie jeder Schüler - jetzt die Prüfungen bestanden, mache sie stolz. „Der Abschluss ist ein weiterer Schritt Integration in unsere Gesellschaft“, freut sich die Sozialpädagogin für die drei jungen Leute.



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