Ulm News, 28.09.2021 16:11
Wenn Bakterien etwas gegen Bakterien haben
Einem Forschungsteam um das Ulmer Institut für Mikrobiologie und Biotechnologie ist es gelungen, mit Hilfe gentechnisch veränderter Bodenbakterien (Corynebacterium glutamicum) antimikrobielle Wirkstoffe in Reinform herzustellen. Die so hergestellten Bacteriocine könnten als Antibiotika-Alternative zur Bekämpfung bakterieller Krankheitserreger eingesetzt werden. Und auch bei der Konservierung von Lebensmitteln könnten diese antibakteriellen Peptide wertvolle Dienste leisten.
Bakterienstämme sind gerne unter sich. Um sich unliebsame Nahrungskonkurrenten vom Leib zu halten, produzieren sie antimikrobielle Substanzen, die verhindern sollen, dass sich andere Bakterienstämme in ihrer Umgebung ausbreiten. Diese sogenannten Bacteriocine werden heute schon in der Nahrungsmittelindustrie eingesetzt, um Lebensmittel zu konservieren. Bacteriocine haben aber auch enormes medizinisches Potential. Vor dem Hintergrund zunehmender Antibiotika-Resistenzen gelten sie als vielversprechende Alternativen zur Behandlung von Infektionen, die durch humanpathogene Bakterien ausgelöst werden. „Für die klinische Anwendung solcher Bacteriocine braucht es neuartige, großtechnische Verfahren, die es möglich machen, die Effizienz der Produktion und die Reinheit des Stoffes massiv zu verbessern“, erklärt Professor Christian Riedel vom Institut für Mikrobiologie und Biotechnologie an der Universität Ulm. Der Mikrobiologe hat in einer Studie für die Fachzeitschrift „Metabolic Engineering“ aufgezeigt, wie dies biotechnologisch möglich ist. Bisher werden Bacteriocine ausschließlich mit natürlichen Bakterien in aufwändigen Fermentationsprozessen hergestellt, bei denen komplexe und teure Nährmedien verwendet werden. So entstehen bestenfalls halbgereinigte Präparate oder Rohfermente. Für den medizinischen Einsatz – beispielsweise als Antibiotika-Ersatz – müssen die Bacteriocine aus diesen „natürlichen“ Fermentationsverfahren aufwendig gereinigt werden. Doch das ist teuer und daher wirtschaftlich uninteressant. Nun ist es Christian Riedel mit seinem Ulmer Team und anderen Fachkolleginnen und -kollegen aus Deutschland, Norwegen, Dänemark und Österreich gelungen, das Bakterium Corynebacterium glutamicum gentechnisch so zu verändern, dass es ein hochwirksames antimikrobielles Peptid (Pediocin PA-1) in Reinform herstellt. Das als Produktionswirt eingesetzte Bakterium ist ein nicht-pathogenes Bodenbakterium, das seit langem als natürlicher Produzent von Aminosäuren – beispielsweise des Geschmacksverstärkers Glutamat – bekannt ist und das heute eine wichtige Rolle als biotechnologischer Plattformorganismus spielt. Die Forschenden haben das Bakterium mit synthetischen, zielgenau funktionalisierten Genen ausgestattet, die die Produktion des Bacteriocins bewerkstelligen. Pediocin PA-1 wirkt besonders gut gegen Listeria monocytogenes. Diese Bakterien sind in der Umwelt weit verbreitet. Werden sie allerdings über kontaminierte Nahrungsmittel wie Rohkäse aufgenommen, können sie bei Menschen eine gefährliche, mitunter sogar tödlich verlaufende Listeriose auslösen. Mehrere Herausforderungen mussten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bewältigen, um das in der Fachzeitschrift Metabolic Engineering veröffentlichte Projekt, erfolgreich zu meistern. Die größte Herausforderung: Wie bringt man Bakterien dazu, antimikrobielle Substanzen zu produzieren, die für den Produzenten potentiell toxisch sind? Und wieso hat das von C. glutamicum synthetisierte Pediocin Pa-1 keine schädigende Wirkung auf das Bodenbakterium? Das Forschungsteam um Riedel hat sich hier eine biologische Besonderheit der Mikrobe zunutze gemacht. „Corynebacterium glutamicum hat keine Rezeptoren, an denen das Bacteriocin andocken kann. Es ist daher resistent gegen dessen antibakterielle Wirkung. Ein Glücksfall für uns!“, betont Dr. Oliver Goldbeck. Der Postdoc ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Mikrobiologie und Biotechnologie und Erstautor der Studie. Außerdem gelang es dem Forschungsteam, die synthetische Bacterioci n-Produktion vom Labormaßstab auf einen großtechnischen Pilotmaßstab für die Industrieproduktion zu skalieren. Eine dritte Stoßrichtung des Projektes bestand darin, die zugrundeliegende Fermentertechnologie billiger und ressourcenschonender zu machen. „Anstatt teurer Nährmedien verwenden wir Abfallstoffe aus der Holzindustrie als Substrate für die Produktion“, erklärt Riedel. Dafür haben die Kooperationspartner an der Universität des Saarlandes aus der Arbeitsgruppe von Professor Christoph Wittmann weitere genetische Veränderungen am bakteriellen Produktionswirt vorgenommen. „Dies macht es für unsere Bakterien möglich, Zucker und organische Säuren aus den Holzabfällen zu verwerten, um daraus schließlich die antimikrobiellen Peptide zu bilden“, sagt der Forscher. Den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die an diesem Projekt beteiligt waren, ist es also nicht nur gelungen, „nützliche“ Bakterien für sich arbeiten zu lassen, um Wirkstoffe gegen „schädliche“ Bakterien zu gewinnen. Sie haben es zugleich geschafft, ihre anspruchsvollen Nützlinge genügsamer zu machen, um diese in Zukunft preiswerter und umweltfreundlicher ernähren zu können. Das Projekt ist Teil des internationalen Forschungsverbundes „iFermenter“, der von der EU im Rahmen von Horizon2020 mit rund 5,25 Millionen Euro gefördert und von der Norwegian University of Science and Technology koordiniert wird. Im Fokus des Verbundvorhabens steht die Entwicklung einer intelligenten Bioprozesstechnologie, die es möglich macht, antimikrobielle Proteine aus Abfällen der Holzindustrie zu synthetisieren. Die Ziele sind: zuckerhaltige Reststoffströme einer wertschöpfenden Verwertung zuführen und damit zugleich biotechnologische Produktionsprozesse günstiger und ressourcenschonender zu machen. Die Universität Ulm ist mit Teilprojekten in der Höhe von 452 000 Euro an „iFermenter“ beteiligt.



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