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Ulm News, 11.10.2020 13:00

11. Oktober 2020 von Ralf Grimminger
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Prof. Dr. Christoph Spengel: Durch Cum-Ex-Geschäfte werden wir als Bürger um Milliarden betrogen – und das seit Jahrzehnten


2015 begründete Christoph Spengel, Professor für Betriebswirtschaftslehre und betriebswirtschaftliche Steuerlehre an der Universität Mannheim, in Fachaufsätzen die Illegalität der als Cum-Ex-Geschäfte bekanntgewordenen Aktiengeschäfte. Damit brachte er die Aufdeckung und Strafverfolgung der illegalen Milliardengeschäfte mit ins Rollen. Warum Cum-Ex-Geschäfte trotzdem weiterhin möglich sind, obwohl dem deutschen Fiskus damit Milliarden an Steuereinnahmen entgehen, und warum die Aufklärung nur schleppend vorangeht, erklärt er im Interview.

Professor Spengel, Sie waren maßgeblich an der Aufdeckung der Cum-Ex- und Cum-Cum-Geschäfte beteiligt. Wie kamen die illegalen Geschäfte ans Licht?

Christoph Spengel: Einzelne Fälle der Cum-Ex-Geschäfte wurden erstmals 2010/2011 von der Finanzverwaltung aufgegriffen. Es ging von vorneherein um dreistellige Millionenbeträge, was zu staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen führte und die Fälle in der Fachöffentlichkeit bekannt machte. Daraufhin wurde eine ganze Reihe von Fachaufsätzen verfasst, die versuchten, die Legalität dieser Geschäfte zu begründen. Wie sich später herausstellte, waren die Verfasser – unter ihnen auch Professoren – für ihre Aufsätze bezahlt worden. Ich habe im Jahr 2015 einen umfangreichen steuerrechtlichen Aufsatz geschrieben, der die ganze Argumentationskette zerlegt hat.
Im April 2016 wurde ein Untersuchungsausschuss im Bundestag ins Leben gerufen, der mich als Einzelgutachter bestimmt hat. In dem Ausschuss ging es dann nicht nur um eine rechtliche Aufarbeitung der Dinge, sondern auch darum zu schauen: Wie haben sich Lobbyverbände und die Finanzverwaltung verhalten? Wie hat sich die Rechtsprechung geäußert? Und wer ist letztendlich haftbar zu machen? I
m Januar dieses Jahres gab es ein rechtskräftiges Urteil in einem Cum-Cum-Geschäft, was dazu führte, dass ich Anfang September ein weiteres Mal als Experte – diesmal im Finanzausschuss des Bundestages – befragt wurde.

In den Medien wird meist von einem Schaden von 10 Milliarden Euro für den deutschen Fiskus ausgegangen. Entspricht diese Zahl Ihren Schätzungen?

Christoph Spengel: Wie hoch der Steuerschaden genau ist, weiß niemand. Ich habe für den Untersuchungsausschuss des Bundestages jedoch Daten von der Deutschen Börse für die Jahre 2005 bis 2011 erhalten und diese mit Mitarbeitern ausgewertet. Auf Basis dieser Daten rechnen wir mit 7,2 Milliarden Euro an zu Unrecht zurückerstatteten Steuern. Das ist aber die absolute Untergrenze – denn die Daten waren hoch aggregiert und liegen erst ab 2005 vor. Für die Cum-Cum-Geschäfte rechne ich zusätzlich mit einem Steuerverlust von 25 Milliarden Euro. Insgesamt sprechen wir also von einem Mindest-Schaden von mehr als 30 Milliarden Euro. 

Laut einem FAZ-Artikel vom 10. September 2020 wurden bis Ende 2019 nur 1,1 Milliarden Euro zurückgefordert. Rechnen Sie damit, dass der gesamte Schaden noch zurückgezahlt wird? 
Da man strafrechtlich bei den Beteiligten eine Vermögensabschöpfung vornehmen kann, ist es durchaus möglich, hier noch sehr viel Geld zurückzuholen. Auch weil die Staatsanwaltschaft aus ihren Ermittlungen eindeutige Erkenntnisse zu den Tätern hat. Betroffen sind beispielsweise mehrere Banken.
Damit möglichst viel des entstandenen Schadens gerade bei Cum-Cum-Geschäften zurückgefordert werden kann, muss die Finanzverwaltung aktiv werden und in verdächtigen Fällen unverzüglich Steuerbescheide ändern und Steuererstattungen rückgängig machen. Nur so kann die die Verjährung gehemmt werden. 

Wie lange haben die Behörden theoretisch Zeit, bis ein Cum-Ex-Fall verjährt?

Christoph Spengel: Bisher war offen und umstritten, wann Steuerverstöße strafgesetzlich verjähren. Ein Riesenproblem entsteht aber durch das zweite Corona-Steuerhilfegesetz. Neben der temporären Senkung des Umsatzsteuersatzes von 19 auf 16 Prozent befindet sich darin auch eine Änderung zur Verjährung von Steuerstraffällen. Demnach beträgt die strafrechtliche Verjährung hier zukünftig 25 Jahre – für alle Fälle, die bis zum Tag der Gesetzesverkündigung am 1. Juli 2020 noch nicht steuerlich verjährt waren. Die meisten Cum-Ex-Fälle spielten sich aber zwischen 2006 und 2009 ab. Wenn die Steuerbescheide nicht geändert wurden, dann wären sie nun steuerlich verjährt und könnten strafrechtlich nicht mehr aufgegriffen werden. Das würde den deutschen Staat Milliarden kosten.

In Ihrer aktuellen Stellungnahme für den Finanzausschuss des Bundestages gehen Sie davon aus, dass Cum-Ex-Geschäfte auch weiterhin möglich sind und stattfinden. Was müsste auf Fiskal- und Gesetzesebene geändert werden, um diese zukünftig zu verhindern? 

Christoph Spengel: Das grundlegende Problem ist, dass wir in Deutschland eine dezentrale Finanzverwaltung haben. Steuern werden an das Finanzamt bezahlt, also an eine Landesbehörde. Die Steuererstattung erfolgt aber durch das Bundeszentralamt für Steuern in Bonn, eine Bundesbehörde. Bis heute gibt es keine Zahlen dazu, wie viel Kapitalertragssteuer eingenommen wird und wie hoch die Erstattungen sind. Durch eine sinnvolle Digitalisierung der Abläufe, also die Verknüpfung von Steuereinbehalt, -bezahlung und -bescheinigung, könnte man nicht nur diese Wissenslücke schließen, sondern Mehrfacherstattungen unterbinden. Das heißt aber auch: Landes- und Bundesbehörden müssen miteinander verknüpft werden, damit das ganze Verfahren in eine Hand kommt. 

Wie konnten die Geschäfte so lange unentdeckt bleiben? 

Christoph Spengel: Die schleppende Aufarbeitung liegt zum einen an den mangelnden Ressourcen der Strafverfolgungsbehörden. Man bräuchte eine Ermittlungsfront und personelle Unterstützung, denn die Fälle sind gleichzeitig zeitkritisch und sehr komplex. Wir haben es mit hochintelligenten Täterinnen und Tätern zu tun und um die Fälle zu verstehen, braucht es Zeit.
Zum anderen gibt es meiner Einschätzung nach aber auch viele mächtige Stellen, die wenig Interesse an der Aufdeckung haben. Die Bundesregierung hat in der Finanzkrise 2008/2009 über 60 Milliarden Euro zur Stabilisierung in den Bankensektor gegeben. Die Aufdeckung der Cum-Ex- und Cum-Cum-Geschäfte könnte einige Banken in die Knie zwingen. Deshalb wird vielerorts gemauert.
Nehmen Sie das erwähnte Corona-Steuerhilfegesetz. So ein Satz zur Verjährung landet nicht zufällig in einem Gesetz. Ein Politiker, der darüber abstimmt, versteht das in der Regel nicht – aber ein Experte weiß, was die Änderung bedeutet: Alles, war vor 2010 stattgefunden hat, verjährt steuerlich und kann so strafrechtlich nicht mehr aufgegriffen werden. Ich finde das unerträglich. Das betrifft uns auch als Bürgerinnen und Bürger, die wir durch die Cum-Ex-Geschäfte seit Jahrzehnten um Milliarden betrogen werden. In meiner Stellungnahme für den Untersuchungsausschuss fordere ich deshalb den Gesetzgeber auf, die Änderung rückgängig zu machen und eine eindeutige strafrechtliche Regelung zu schaffen.

Was sind Cum-Ex-Geschäfte?
Cum-Ex-Geschäfte sind Aktiengeschäfte, bei denen zwei Steuerbescheinigungen auf ein- und dieselbe Dividende ausgestellt und gegenüber dem Fiskus geltend gemacht werden. Die beteiligten Parteien teilen sich den Gewinn, d.h. die Steuerrückerstattung für die nie gezahlte Kapitalertragssteuer. Das Geltendmachen der zu Unrecht ausgestellten Steuerbescheinigung erfüllt den Tatbestand der Steuerhinterziehung.

Was sind Cum-Cum-Geschäfte?
Rund zwei Drittel der Aktien an der Deutschen Börse gehören ausländischen Investoren. Auf die Dividende dieser Aktien wird in Deutschland eine Kapitalertragssteuer von 25 Prozent einbehalten. Diese Steuer ist definitiv, d.h. sie kann nicht wie bei den Cum-Ex-Geschäften in der Steuererklärung geltend gemacht werden. Um diese Steuer zu umgehen, werden die Aktien kurz vor der Dividendenausschüttung als Wertpapierleihe nach Deutschland übertragen. Der ausländische Investor muss dadurch die definitive Steuer nicht zahlen, der deutsche Verbündete erhält einen Anteil an der Kapitalertragsteuer. Laut Rechtsvorschrift ist dieses Vorgehen nicht legal, wenn keine wirtschaftlichen Gründe vorliegen, d.h. wenn der einzige Zweck darin besteht, Steuern zu sparen.



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