Ulm News, 04.05.2010 15:22
Titus Andronicus- Shakespeare-Premiere in Stuttgart
In unserer von den Medien regierten Gesellschaft tut sich das Staats-und Stadt-Theater schwer, seiner einst so sicher geglaubten Bedeutung hinterherzulaufen. Überall suchen sie Anschluss an die aktuellen Sex- Köche- und Komikerwellen; wie etwa bei der jüngsten Opern- Premiere am Ulmer Theater, wo die verführerische Salome als von Herodes missbrauchte Göre gezeigt wurde, meint Peter Zwey..

Zu solchen Zeitgeistspekulanten gehört der Theaterregisseur Volker Lösch ganz sicher nicht, der Shakespeares blutigstes Schurkenstück „Titus Andronicus“ inszenierte, das am 2. Mai im Stuttgarter Staatsschauspiel Premiere hatte.
Schon beim flüchtigen Durchbättern des Programmheftes ist klar, worauf es der politische Aufklärer Volker Lösch abgesehen hat. Er vertauscht Rom und die Goten Shakespeares mit den Schwarzen Afrikas, die die Festung Europas stürmen. Bezugsrahmen und aktuelles Haupthema ist das Drama Afrikas.
Das Theater der Grausamkeit (A.Artaud) wird am Anfang und am Schluss von einem massiv aufstampfenden politischen Chor - bestehend aus Migranten- beflügelt und es geht über alle Grenzen des vermeintlich guten Geschmacks.
Die Staats-Orgie der Gewalt spielt sich in einer monumental gestalteten Küche ab, wo Waschmaschine, Herd, Kühlschrank, Mülltruhe als Tatorte von Mord, Folter und Vergewaltigung fungieren.
Eine Greueltat folgt der anderen in raschem Tempo.
Die nackten Gefangenen, schwarz angemalte Neger/Goten, werden in die Backröhre verfrachtet, während auf und vor der Anrichte der Machtkampf der römischen Herrscher ausbricht. Die Römer verkörpern den Westen, also stumpfsinnige, empfindungslose Politkasperle, denen es allein um Macht, Sex und Erfolg um jeden Preis geht. Eine scharfe Satire auf die verkommene Gegenwartsgesellschaft, wie Lösch sie im Zorn ausleuchtet und attackiert.
Der in ästhetisch stimmige, groteske Bayerntracht gehüllte Lumpenhofstaat erledigt alle Themen seiner Agenda brüllend und umstandslos brutal. Das wirkt zuweilen so verteufelt lustig, dass der politische Ernst, den die Chöre zu Anfang und Ende ins Publikum schreien, schier vor die Hunde geht. Mit der grausigen Komik des Splatter-und Horrortheaters, das uns Hören und Sehen vergällen will, verkürzt Lösch den Shakespearischen Originaltext auf das bloße Schreckensgerüst einer Blut-Orgie. Warum soll man den von Lösch mit Recht und Verve als heuchlerisch angesehenen Bildungskanon im Theater nicht umfunktionieren zum politischen Aufklärungsinstrument? Welche Minderheit hätte noch das Ohr für schön gesprochene Jamben? Insofern ist hier kein Shakespearetext zu verhandeln, sondern allein die Frage: wozu sich mit differenzierten Texten abmühen in einer dummen Mediengesellschaft, der es ausschließlich noch um ihre primitivsten Bedürfnisse geht? Der es außer um Ablachen und nobles Fressen um nichts mehr zu tun ist, die am Leid des nächsten Menschen nie mehr entbrennt?
Der es gleichgültig ist, welche grauenhaften Folgen ihre dumpfe Konsummaschinerie anderswo verursacht?
Die groteske Gangart der Lösch-Truppe widerstreit der geselllschaftsfähigen Komik, die aus der moralischen Verkommenheit tolle Gags strickt und dem Einverständnis mit den ausbeuterischen Großkonzernen dient. So eindeutig ist die Botschaft dieser Inszenierung, die mit allen Mitteln und vollem Risiko auf die kritische Aufklärungstradition des Theaters setzt. Liviinia, Tochter des Titus, wird auf offener Szene kunstvoll verstümmelt, die Söhne der Gotenkönigin und römischen Kaiserhure Tamora werden abgeschlachtet, dann verwurstet und den grausamen Herrschern zum Mahl vorgesetzt. Da verließen die Premierenzuschauer in Scharen den Saal, die ästhetische Gemütlichkeit schien ihnen endgültig verdorben. Der Regisseur Lösch holte sich tapfer seine Buhs ab. Doch anschließend bei der Premierenfeier hörte man überall Gesprächsfetzen über die grässlichen und ungerechten Zustände in Afrika, die wir alle verdrängen und mit verursachten dank unserer politischen Ignoranz. Ein extremer Abend im ganzen. Bert Brecht ließ grüßen.
Die Zeit der Spaßgesellschaft und ihrer Amüsieronkel am Theater geht zu Ende, ist mit dem tapferen Volker Lösch zu hoffen. Freilich noch besser wäre es, wenn man statt der Not, alte historische Stücke umzustricken, eine Gegenwartsdramatik förderte, die den ernsten globalen Katastrophismus in der heutigen Rumpf- und Medien-Sprache aufzeigte. Die ästhetisch avancierten Theatermittel, das zeigt die Inszenierung mit Bravour, lägen dazu bereit.



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