Ulm News, 28.01.2025 06:45
Prozess gegen Klimakletterer - sie entschuldigen sich
Suizidgedanken waren die erschreckende Folge einer Protestaktion im vorletzten Juli, bei der Aktivisten auf einer Schilderbrücke an der Adenauerbrücke zwischen Ulm und Neu-Ulm herumkletterten.
Vor dem Ulmer Amtsgericht konnte im zweiten Anlauf der Prozess gegen zwei mittlerweile 24-Jährige starten. Dem Duo wirft die Staatsanwaltschaft vor, die Schilderbrücke der b17/B28 Westringtunnel in Ulm bei ihrer Kletteraktion beschädigt zu haben. Dadurch wurden offenbar auch zahlreiche Menschen genötigt, da die Straße durch die Aktion blockiert war.
Bereits im vergangenen Jahr sollte das Verfahren gegen die beiden stattfinden, doch noch bevor die Strafbefehle verlesen werden konnten, musste sich der Richter mit Anträgen der Angeklagten befassen, die zur langen Unterbrechung führten. Es ging dabei um eine mögliche Befangenheit des Richters, eine nicht ausreichende Öffentlichkeit durch einen zu kleinen Gerichtssaal und auch die Nichtzulassung von Laienverteidigern. In die Entscheidung war auch das Landgericht eingebunden.
Der Richter ist demnach nicht befangen und es wurde für die Neuauflage ein größerer Gerichtssaal gewählt. Zwei beantragte Laienverteidiger konnten nicht zugelassen werden, da sie bei der Aktion vor Ort waren und daher möglicherweise Zeugen sind. Für den Prozess wurden starke Sicherheitsvorkehrungen angeordnet, so wurden Besucher nicht nur auf Waffen durchsucht, sondern es mussten beispielsweise auch Kugelschreiber in Spinden eingeschlossen werden, die als Waffen dienen können. Der Prozess konnte daher trotz eines überpünktlichen Richters auch nur mit zehnminütiger Verspätung beginnen.
So konnte durch Polizisten als Zeugen der Ablauf der Kletteraktion nochmals ausführlich dargestellt werden. Dazu gehört auch eine akribische Vorbereitung, die die Polizei ermittelte. Nicht nur die vorbereiteten Schriftzüge, mit denen die Beschilderung überklebt wurde, war darunter, sondern Sekundenkleber und eine Glitterpaste. „Etwas vergleichbares habe ich noch nie gesehen“ kommentierte ein Polizist im Zeugenstand, dass sich die Angeklagten nicht nur die Finger mit Sekundenkleber und Glitterpaste verschmiert hatten, sondern auch vorher mit Nadelstichen dafür sorgten, dass die Paste in die Haut ging und so eine Identifikation über Fingerabdrücke unmöglich machte. Erst über eine Recherche in den Sozialen Medien konnten die beiden dann identifiziert werden, womit sie nicht gerechnet hatten.
Der Stadt Ulm ist durch die Reinigung und Reparatur der Schilderbrücke ein Schaden von über 1 300 Euro entstanden, den die Stadt ersetzt haben möchte. Gut ein Dutzend Zeugen aus dem Stau wurden befragt, ein guter Teil konnte sich nicht einmal an den Stau erinnern. Andere ärgerten sich über die Zeitverzögerung und hielten, trotz aller Sympathie für die Ziele des Protests, den Weg für falsch. Sehr emotional wurde es bei der Aussage einer Krankenschwester, die sich während des Protestes in einer Traumtherapie befand. Morgens war sie von ihrem Heimatort auf dem Weg zur einmal wöchentlich stattfindenden Arztvisite und einem psychologischen Einzelgespräch.
Nach Alpträumen und Flashbacks in der Nacht zuvor, war ihr diese Betreuung extrem wichtig. Durch zweieinhalb Stunden Stillstand mitten auf der Bundesstraße 28 verpasste sie diese Termine und wurde in der Nacht darauf durch Suizidgedanken geplagt. Den beiden Angeklagten sagte sie: „Ich finde Klimaaktivismus richtig und wichtig. […] Man muss darüber nachdenken, was das […] für Konsequenzen für Unbeteiligte haben kann.“ Und weiter sprach sie an, das „hätte wegen der Suizidgedanken sehr böse ausgehen können.“ Dieses Erlebnis beschäftigt sie im Rahmen ihrer Therapie bis heute. Die 24-jährige Angeklagte entschuldigte sich bei der Zeugin: „Ich möchte mich gerne persönlich entschuldigen. Es gibt nicht wirklich eine gute Erklärung dafür. Es tut mir mega leid“ Dabei waren ihre Augen erkennbar feucht durch die emotionale Bewegung.
Auch der Angeklagte schloss sich mit eigenen Worten dieser Entschuldigung an. Die Zeugin quittierte diese Entschuldigungen jeweils mit einem kurzen „Dankeschön“. Nach 15 Zeugen binnen vier Stunden stellte die Verteidigerin der 24-jährigen Angeklagten mehrere Beweisanträge, die durch das Gericht alle abgelehnt wurden. Der Richter sah genauso wie die Staatsanwaltschaft, dass diese für die Wahrheitsfindung nicht erforderlich sind oder der Strafbefehl gar nichts anderes behauptet. So beispielsweise eine Ortsbegehung im Ahrtal, um die Auswirkungen der Klimakrise zu beweisen. Auch der Versuch, die Notwendigkeit der Straßensperrung durch die Polizei in Zweifel zu ziehen, war der Inhalt von Beweisanträgen. Hier sah das Gericht ebenfalls keine Relevanz und keine Bindungswirkung für den konkreten Fall in Ulm.
Durch diese abgelehnte Beweisanträge wurde der Verhandlung derart in die Länge gezogen, dass der Richter die Verhandlung erst am nächsten Montag fortsetzen kann. Für Montag sind weitere Beweisanträge angekündigt, aber auch das Urteil geplant.
Text/Fotos: Thomas Heckmann







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