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Ulm News, 04.07.2023 12:00

4. July 2023 von Thomas Kießling
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Als der Mensch zum Alpha-Tier wurde


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Beschreibung: n ihrem Vortrag sprach Professorin Rebekka Hufendiek über den Graubereich zwischen Wissenschaft und Ideologie.

Fotograf: Christine Liebhardt/Uni Ulm

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Wann und wo wird es problematisch, wenn Wissenschaft und Werte nicht voneinander getrennt werden – und lässt sich dazwischen überhaupt eine scharfe Linie ziehen? Um „Naturwissenschaft und Ideologie“ ging es kürzlich in der Antrittsvorlesung von Professorin Rebekka Hufendiek an der der Universität Ulm.

Die Philosophin Rebekka Hufendiek leitet seit Anfang des Jahres das Humboldt Zentrum für Philosophie und Geisteswissenschaften der Universität Ulm. In ihrem gut besuchten Vortrag sezierte sie das Narrativ vom Alpha-Mann und zeigte, welchen Anteil an dessen Verbreitung das 1982 erschienene, populärwissenschaftliche Sachbuch „Chimpanzee Politics. Power and Sex Among Apes“ des niederländischen Verhaltensforschers Frans de Waal daran hatte.

Das Buch, das auf der jahrelangen Beobachtung einer Gruppe Schimpansen in einem Zoo basiert, gilt als Klassiker der Verhaltensforschung. Erstmals wurde darin die Komplexität des Sozialverhaltens der Tiere sichtbar gemacht. An einigen Stellen, kritisierte Hufendiek, zieht de Waal explizit Schlüsse vom Schimpansen auf den Menschen, ohne, dass empirische Beobachtungen zugrunde lagen. Sein Kassenschlager habe maßgeblich dazu beigetragen, dass der Begriff des Alpha-Tieres, also des Leittieres einer Gruppe, überhaupt erst auf den Menschen übertragen wurde. Das sei problematisch: Denn mit Verweis auf Rangordnungs-Begriffe aus der Verhaltensforschung werde „fälschlich Wissenschaftlichkeit in Anspruch genommen, um hierarchische gesellschaftliche Strukturen als naturgegeben und damit unveränderlich darzustellen“, sagte Hufendiek. Ideologische Überzeugungen bekämen damit eine gesellschaftliche Funktion bei der Legitimation von Herrschaft.

Dass de Waal mit seinen Behauptungen Herrschaft legitimieren wolle, unterstellt Hufendiek nicht – wohl aber, „dass er ein spannendes Buch mit Potenzial zum Verkaufsschlager“ habe schreiben wollen. „Mir scheint, dass man ein zu enges Verständnis von Ideologie hat, wenn man denkt, sie käme nur dort vor, wo Menschen mit finsterer Absicht verzerrte Hypothesen formulieren.“ De Waal habe für sein Buch seine Autorität als Wissenschaftler genutzt und damit mit Blick auf den Menschen „ein Stereotyp in die Welt gesetzt, das seither ein reges Eigenleben führt“. Vage vermittle er, bei der Schimpansen-Beobachtung auf menschliche Universalien gestoßen zu sein – ohne dafür Belege zu liefern.

Die Philosophin Hufendiek fordert deshalb in der Wissenschaft mehr Reflexion der eigenen Vorannahmen. „Hier hängt am Ende viel am Umgang der einzelnen Person mit ihrer eigenen Forschung und Haltung, die offen bleiben muss für Kritik“, so die 42-Jährige. Karl Poppers Kriterium der Falsifizierbarkeit sei immer noch ein guter erster Ratgeber, ob man sich im Bereich wissenschaftlich seriöser Aussagen bewege.

An de Waal sehe man, wie pseudowissenschaftliche Behauptungen in seinem Buch mit der Vermarktung des selbigen zusammenfielen. „Das hat ihm aber nicht Scham und Schande, sondern Ruhm und Popularität über die Fachgrenzen hinaus eingebracht.“ Die Frage sei, wo Publikationsstandards falsche Reize setzen – und unter welchen Umständen lautere und deutlichere Kritik aus dem eigenen Fach angebracht sei, um ein Abdriften in die Pseudowissenschaft aufzuzeigen. Mit diesen Fragen will sich Prof. Rebekka Hufendiek in den nächsten Jahren in Forschung und Lehre weiter beschäftigen, denn: „Da, wo es schwierig wird, solide Wissenschaft von wertbehafteten Vorannahmen oder gar von Ideologie zu trennen, ist die philosophische Auseinandersetzung mit Wissenschaft besonders interessant.“

Auch Professor Michael Weber, Präsident der Universität Ulm, hatte in seiner Begrüßung betont: „Wir tragen in der Wissenschaft die Verantwortung für das, was wir tun und wie wi r es tun und geben unsere Werte an den Nachwuchs weiter.“ Und Professor Joachim Ankerhold, Vizepräsident für Forschung, sagte, das Humboldt Zentrum stehe dafür, über Wissenschaftsgrenzen hinweg zusammenzukommen: „Philosophie ist wichtig – und auch, dass sie sich in den öffentlichen Diskurs einmischt.“



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