Ulm News, 10.11.2022 23:00
Der ICE pendelt schon auf der Neubaustrecke von Ulm nach Stuttgart
Mehrmals am Tag pendelt ein ICE auf der Bahn-Neubaustrecke zwischen Wendlingen und Ulm, um die Lokführer für die neue Strecke zu schulen. Wir durften dabei sein. Thomas Heckmann fuhr mit und beschrieb für ulm-news die Fahrt mit dem ICE auf der Neubaustrecke. Der Fahrgast aus Merklingen ist künftig in 49 Minuten in Stuttgart und spart 34 Minuten Fahrzeit.
Es ist schon irgendwie eigenartig, wenn man auf einer Bahnstrecke unterwegs ist, die es noch gar nicht gibt. Und dann auch noch mit 250 km/h. Am Donnerstag hat die Bahn zwei Dutzend Journalisten die Möglichkeit gegeben, die neue Strecke kennenzulernen und den neuen Fahrkomfort zu genießen. Am Startbahnhof Plochingen werden Warnwesten ausgegeben und es folgen die Sicherheitshinweise. Dabei soll Bahnfahren doch so sicher sein. Raimund Räder, der die Lokführer ausbildet, erklärt die Hintergründe.
Die Bahnstrecke ist noch im Vorlaufbetrieb, sie ist noch nicht kommerziell freigegeben. Daher gelten ein paar zusätzliche Regeln. Das Verhalten bei Störungen, zu welcher Seite aussteigen, wo sind in den Tunnels die Fluchtwege. Und natürlich vertraut jeder der mitfahrenden Eisenbahner auf die Qualität des Bauwerkes, die Sicherheitseinweisung ist einfach vorgeschrieben.
Auch Olaf Drescher, der Geschäftsführer des Bahnprojekt Stuttgart-Ulm, beruhigt. Baulicherseits passiert eigentlich nichts mehr, es wird vielleicht noch irgendwo ein Schild montiert oder ein bisschen der Rasen gerade gezogen. Unser ICE fährt am Bahnsteig vor, ein paar Lokführer steigen aus dem Führerstand aus. Ausbilder Räder erklärt, dass seit September die Ausbildung vor Ort läuft. 19 Ausbilder müssen bis zum Start des offiziellen Betriebs am 11. Dezember rund 160 Lokführer geschult haben, damit sie auf der Neubaustrecke unterwegs sein dürfen.
Und dann geht es auch schon los. Der Zug rollt auf Wendlingen zu, es folgt das Nadelöhr, die bisher eingleisige Wendlinger Kurve, die die Verbindung zur Neubaustrecke darstellt. Hier dauert es wohl noch zwei Jahre, bis über den Flughafen zweigleisig gefahren werden kann. Der Regionalverkehr von Ulm Richtung Stuttgart fährt zwar an den neuen Bahnhof Merklingen, endet dann aber in Wendlingen.
Dort muss man noch nach Stuttgart umsteigen, doch trotzdem dem Umsteigen ist der Regionalverkehr schneller als durch das Filstal. Der Zug beschleunigt, irgendwie hört er gar nicht mehr auf zu beschleunigen. Statt den gewohnten Geschwindigkeiten um die 120 km/h zwischen Geislingen und Göppingen ist der Zug mit 250 km/h doppelt so schnell. Rein in den Tunnel, Druck auf den Ohren, schlucken, vor dem Fenster ist es mitten am Tag dunkel. Hell, dunkel, nach nicht einmal zwanzig Minuten ist die Filstalbrücke erreicht. Knapp 500 Meter lang und 85 Meter hoch ist sie die dritthöchste Eisenbahnbrücke in Deutschland und verbindet zwei Tunnel direkt miteinander. Um den Längenausgleich bei wechselnden Temperaturen hinzubekommen, wurde das Widerlager der Brücke direkt in das Tunnelportal integriert.
Auch die zwei Fahrtrichtungen auf zwei getrennten Brücken zu bauen, ist eher ungewöhnlich. Das Sicherheitskonzept für die Schnellfahrstrecke hat das nötig gemacht. Die langen Tunnels habe zwei getrennte Röhren für jede Fahrtrichtung und Querstollen. Außerdem sind die Tunnels genauso wie die Filstalbrücke mit Rettungs- und Feuerwehrfahrzeugen befahrbar.
Olaf Drescher hat zwischen allen Journalistenfragen auch ein paar Minuten Zeit, sich hinzusetzen, kurz aus dem Fenster zu schauen. Er verantwortet eine Investition von 3,985 Milliarden Euro und wirkt dabei ganz entspannt. Er lächelt, wenn er darüber spricht, dass es nun so langsam alles fertig wird. Die Teileröffnung ist für ihn ein wichtiger Meilenstein. Der unlängst verstorbene Professor Gerhard Heimerl aus Stuttgart hat die Strecke parallel zur Autobahn 8 quasi erfunden. Eigentlich wollte die B
ahn auf der Magistrale Paris-Budapest die alte Bahnstrecke durch das Filstal ausbauen. Laut Heimerl hätte man damit maximal 160 km/h erreichen können und es hätte schon nach den 1988 gültigen Lärmschutzregeln rund sechs Meter Hohe Schutzwände gebaut werden müssen. Schneller geht es über die Alb und die Kommunen auf der Alb haben sich rechtzeitig zusammengetan, um das Verkehrskonzept mit einem Regionalbahnhof zu komplettieren.
Die Bahn ließ sich überzeugen und nun ist . Viel Schulungsaufwand erfordert das neue Signalsystem ETCS. Statt bisher den Lichtsignalen an der Strecke werden die Befehle über Funk direkt in die Lok übertragen. Damit können Geschwindigkeitsvorgaben genauer gemacht werden und im Stellwerk weiß man, wo der Zug gerade mit welcher Geschwindigkeit unterwegs ist. Drescher hat ausgerechnet, dass bei einem bundesweiten vernetzten ETCS-Signalsystem rund 30 Prozent mehr Züge über die bestehenden Strecken fahren können. Doch bis dahin ist der Weg noch weit, denn es muss viel Technik auch in den Lokomotiven nachgerüstet werden. Der französische Hochgeschwindigkeitszug TGV muss weiterhin durch das Filstal auf der alten Strecke fahren, erst für nächstes Jahr ist die Nachrüstung und Zulassung der Triebzüge durch die französische Staatsbahn geplant.
Auch für den Güterverkehr gibt es nahezu keine Lokomotiven, die eine passende Zulassung haben. Daher wird auch weiterhin der komplette Güterverkehr durch das Filstal abgewickelt. Das Signalsystem wird erstmalig in Baden-Württemberg verwendet, doch dann wird es sehr schnell weitergehen. Der neue Stuttgarter Hauptbahnhof wird nur noch über ETCS anfahrbar sein.
Der ICE ist schon wieder in Plochingen. Die schöne Aussicht auf Geislingen hat gefehlt, doch die Zeitersparnis in den laufruhigen Zügen ist beeindruckend. Ab 11. Dezember kann man regulär den neuen Fahrkomfort genießen.
Text/Fotos für ulm-news: Thomas Heckmann
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