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Ulm News, 06.10.2021 11:30

6. Oktober 2021 von Thomas Kießling
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Späte Ehrung für jüdisch-stämmigen Hämatologen: Stadt Ulm und Universität weihen Hans-Hirschfeld-Platz ein


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Beschreibung: An der feierlichen Einweihung des Hans-Hirschfeld-Platzes nahmen über 200 Gäste teil. Erste Reihe mit Lutzeier (Foto: Elvira Eberhardt / Uni Ulm): Die Festredner in der ersten Reihe – v.l. Dr. Jan Watzlawik, Prof. Barbara Traub, Uni-Pr&au

Fotograf: Elvira Eberhardt / Uni Ulm

Foto in Originalgröße



Wer sich von Norden her der Universität Ulm nähert, kommt nicht mehr an ihm vorbei: an dem jüdisch-stämmigen Mediziner Professor Hans Hirschfeld (1873 - 1944). Der berühmte Hämatologe gehörte in den 1930er Jahren zu den weltweit führenden Wissenschaftlern auf diesem Gebiet. Er wurde 1942 von den Nationalsozialisten ins KZ Theresienstadt deportiert und dort ermordet. Diesem herausragenden Forscher hat die Stadt Ulm auf Initiative der Universität Ulm einen eigenen Platz gewidmet: den Hans-Hirschfeld-Kreisel.

Feierlich eingeweiht wurde der neue Platz, der die Albert-Einstein-Allee und den James-Franck-Ring miteinander verbindet, mit einem öffentlichen Festakt am Montag, den 4. Oktober. Mehr als 200 Menschen, darunter rund 140 geladene Gäste, erwiesen Hans Hirschfeld die Ehre. Darunter waren Abgeordnete aus Bundestag, Landtag und Stadtrat, hohe Repräsentanten des Staates Israels, der jüdischen Gemeinde und des Zentralrats der Juden in Deutschland, Vertreter der Stadt und Bürgerschaft sowie zahlreiche Universitätsangehörige, insbesondere aus der Professorenschaft.
 Einen festen Platz in der Zeremonie hatten auch die Studierenden der Uni. Nach der Begrüßung durch Oberbürgermeister Gunter Czisch enthüllten Studenten und Studentinnen die Stele und die neuen Straßenschilder, die die Stadt Ulm für Hans Hirschfeld aufstellen ließ. „Stadt, Land und Universität ehren gemeinsam diesen besonderen Arzt und  Forscher, um ihn aus der Vergessenheit zu holen“, sagte Czisch. In ihrem Grußwort, in dem Wissenschaftsministerin Theresia Bauer an den Brandanschlag auf die Ulmer Synagoge vor einem Jahr erinnerte, hob die Landespolitikerin auch Grundsätzliches hervor: „Mit der Einweihung dieses Platzes würdigen wir den Mediziner Hans Hirschfeld und zeigen, dass er, sein Wirken und seine Forschungsarbeiten nicht vergessen sind. Wir wollen aber auch darauf aufmerksam machen, welche Mechanismen des Verdrängens und Vergessens im Nachkriegsdeutschland oftmals gegriffen haben und wer diese aktiv befördert hat, um davon möglicherweise auch selbst zu profitieren.“

 Die Erinnerung an Hans Hirschfeld und sein Werk wurde aktiv getilgt

Nicht zuletzt aufgrund der aktiven Tilgung seiner wissenschaftlichen Verdienste und Publikationsleistungen gerieten Hans Hirschfeld und sein Beitrag zur medizinischen Forschung in Deutschland in Vergessenheit. Eine unrühmliche Rolle spielten hier auch prominente Gründerpersönlichkeiten der Universität Ulm wie der renommierte Mediziner Professor Ludwig Heilmeyer, der ein Fachkollege Hirschfelds war und sich skrupellos dessen publizistischen Vermächtnisses bediente. Der Ulmer Medizinhistoriker Professor Florian Steger hatte im Rahmen des 50. Universitätsjubiläums im Jahr 2017 bereits ausführlich auf diese unredliche Übernahme hingewiesen und vor Kurzem eine umfassende politische Biographie Ludwig Heilmeyers publiziert.

 Universitätspräsident Professor Michael Weber betonte in seinem Grußwort, dass die Hochschulen in ihrer Autonomie eine besondere Verantwortung tragen und dabei nicht nur der Wissenschaft, sondern auch dem Grundgesetz verpflichtet sind: „Der Hans Hirschfeld-Platz soll uns nicht nur an das Vergangene erinnern. Vielmehr soll er uns zugleich Mahnung für die Gegenwart und Zukunft sein. Ein Symbol für herausragende Wissenschaft und für die Verpflichtung zur wissenschaftlichen Redlichkeit und zu den Werten unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung.“ In die Zukunft gewandt, und dabei dem Vergangenen verpflichtet, waren auch die Worte von Professor Thomas Wirth. Der Dekan der medizinischen Fakultät sieht in der Benennung dieses zentralen Platzes am Eingangstor zum Campus auf dem Oberen Eselsberg eine große Chance. Sie könne verstanden werden als Aufforderung an Alle – an die Forschenden und Lehrenden, sowie an die Bürgerinnen und Bürger – dem Vergessen und Verleugnen Einhalt zu gebieten.

 Professorin Barbara Traub, die Vorstandssprecherin der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg erinnerte an die jahrhundertelange kulturelle und wissenschaftliche Bereicherung Deutschlands durch jüdisches Leben. Es ist ihr ein großes Anliegen, Hans Hirschfeld, diesen herausragenden Wissenschaftler und besonderen Menschen, gemeinsam dem Vergessen zu entreißen. „Die deutsch-jüdische Geschichte ist nicht vorbei, wir alle schreiben sie längst weiter“, so Traub, die auch Präsidiumsmitglied des Zentralrates der Juden in Deutschland ist.
Ihr folgte auf das Rednerpult Professor Peter Voswinckel. Der Medizinhistoriker leitet seit vielen Jahren die historische Forschungsstelle und das Archiv der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) in Berlin. Anlässlich des 75. Geburtstags der DGHO (2012) hat sich Voswinckel mit den historischen Schattenseiten der Fachgesellschaft auseinandergesetzt und einen wesentlichen Beitrag zur wissenschaftlichen Rehabilitierung von Professor Hans Hirschfeld geleistet. „Verweigerte Ehre“ lautet der Titel der Jubiläumsbroschüre, die dem Nestor der deutschen Hämatologie gewidmet ist. Diese steht stellvertretend für alle von den Nationalsozialisten vernichteten und von Fachkollegen verdrängten und vergessenen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen dieses Fachgebiets. Der Hämatologe Hirschfeld dachte vor seiner Deportation: Das wird die Welt nicht zulassen, dass ihm etwas passiert! „Und dann war Hirschfeld tot und sein Werk vergessen. Wie konnte das geschehen?“, fragt Voswinckel.
 Über Herkunft und die Verbundenheit mit der Vergangenheit sprach beim Festakt ein Mitglied der Familie. Der Kulturanthropologe Dr. Jan Watzlawik erzählte, wie alle Verstorbenen in der Familie weiterleben, ob sie nun öffentlich sichtbar blieben wie Hans Hirschfeld oder nicht. Darunter waren sowohl welche, die ermordet wurden, emigriert sind und viel Leid erfahren haben und eben auch andere, die Täter waren. „Herkunft ist nicht immer leicht“, so Watzlawik, der die Anwesenden dazu einlud, mit seiner Familie dieses vielschichtige Erbe zu teilen.
 Für die Studierenden sprach Sven Fauth von der Verfassten Studierendenschaft der Uni Ulm. Fauth wies darauf hin, dass auch heute noch viele Wahrheiten unausgesprochen bleiben. „Das Vergangene bestimmt aber das, was heute ist. Wir als Studierende müssen uns entscheiden, in welcher Tradition wir leben wollen“, sagte der Student.
 Musikalisch beendet hat die Einweihungsfeier Michael Lutzeier mit seinem Baritonsaxofon und Cole Porters „Begin the Beguine“. Mehrfach gedankt wurde zuvor dem Hauptinitiator der Platzbenennung. Professor Peter Gierschik, Leiter des Instituts für Pharmakologie und Toxikologie, hat in enger Abstimmung mit der Stadt Ulm, dem Stadtarchivdirektor Professor Michael Wettengel und mit Dr. Nicola Wenge, der Leiterin des Dokumentationszentrums Oberer Kuhberg (DZOK), diese besondere Initiative auf den Weg gebracht. Eine wichtige Roll spielten dabei auch Professor Peter Voswinckel und der Ulmer Medizinhistoriker Professor Florian Steger. „Es geht uns darum, ein spätes Zeichen der Anerkennung zu setzen für einen ausgezeichneten Hämatologen, der seines Lebens, seiner Würde und Ehre beraubt wurde. Außerdem wollen wir junge M enschen im Hier und Heute sensibilisieren gegenüber frühen Anzeichen von Intoleranz, sozialer und religiöser Diskriminierung“, erklärt Gierschik.

 Hans Hirschfeld-Ausstellung im Forum der Universität

Im Anschluss an die rund einstündige Einweihungsfeier wurde im Forum der Universität die Hans-Hirschfeld-Ausstellung der DGHO eröffnet. Begleitet hat den Rundgang Professor Voswinckel, der zahlreiche historische Originaldokumente für die Ausstellung zusammengetragen hat. Darunter Zeugnisse von Hirschfelds wissenschaftlicher Arbeit aber auch umfangreiche Materialien der nationalsozialistischen Existenzvernichtungs-Bürokratie wie Vermögensaufstellungen, Inventarlisten und „Heimeinkaufsvertrag“. Doch das Ehepaar Hirschfeld kam nicht ins Altersheim, sondern ins KZ, wo Hans Hirschfeld am 26. August 1944 starb. Seine Frau hat überlebt und ist nach dem Krieg ihren Kindern ins Ausland nachgefolgt.
Zu sehen ist die Ausstellung noch bis Mitte November. Danach zieht sie um ins DZOK.

Professor Hans Hirschfeld (1873-1944)

Professor Hans Hirschfeld (1873-1944) gilt heute als der bekannteste deutsche Hämatologe und Krebsforscher der 30er Jahre. Der jüdisch-stämmige weltweit respektierte Wissenschaftler wurde von den Nationalsozialisten ermordet. Er wurde mit seiner Frau am 31. Juli 1942 ins KZ Theresienstadt deportiert, wo er am 26. August 1944 starb. Zuvor war er seiner Arbeitsstelle, seiner Lehrbefugnis, seiner Approbation seines Vermögens sowie seiner Wohnung und ärztlichen Praxis beraubt worden. Seiner Ehre als Wissenschaftler beraubt blieb er bis weit nach dem Zweiten Weltkrieg. An der Tilgung seines Namens und seines wissenschaftlichen Vermächtnisses waren auch hochrenommierte Vertreter der deutschen hämatologischen Fachgesellschaft beteiligt, darunter auch der Gründungsrektor der Universität Ulm Professor Ludwig Heilmeyer. Die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) bemühte sich erstmals 1987 um eine Rehabilitation. 25 Jahre später, beim 75-jährigen Jubiläum im Jahr 2012, gelang es der DGHO mit einer lückenlosen Dokumentation zu Hans Hirschfeld, die wissenschaftliche Ehre, die ihm bis dahin verweigert blieb, wiederherzustellen. Beauftragt wurde damit Professor Peter Voswinckel, dessen historische Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels der Medizingeschichte den Titel „Verweigerte Ehre“ trägt.
 Als Sohn einer Berliner Kaufmannsfamilie wurde Hans Hirschfeld am 20. März 1873 in Berlin geboren. Nach seinem Medizinstudium an der Berliner Friedrich-Wilhelm-Universität arbeitete er ab 1897 am Krankenhaus Moabit. Früh in seiner Karriere als Arzt und Wissenschaftler interessierte sich Hirschfeld für Bluterkrankungen, sein besonderes Augenmerk galt insbesondere der differenzierten Anfärbung von Blutzellen. Seit 1910  forschte Hirschfeld im Berliner Krebsinstitut der Charité. In diesem hochrenommierten Institut (geführt von Prof. Georg Klemperer und später von Professor Ferdinand Blumenthal) übernahm er die Leitung des Labors und später der ambulanten Patientenbetreuung.1922 wurde Hans Hirschfeld zum Professor ernannt und erhielt wenig später eine eigene Abteilung am Krebsinstitut. Im Lauf seiner Karriere publizierte der Wissenschaftler etwa 160 wissenschaftliche Arbeiten zur Hämatologie, die weltweit Anerkennung fanden. In den 30er Jahren erreichte Hans Hirschfeld den Zenit seiner wissenschaftlichen Karriere. Als Herausgeber der Folia Haematologica, der ältesten hämatologischen Fachzeitschrift der Welt, und Autor mehrerer Lehrbücher genoss er hohes internationales Ansehen. 1932/1933 gab er mit Anton Hittmair aus Österreich erstmals ein vierbändiges „Handbuch der allgemeinen Hämatologie“ heraus, das insgesamt 3100 Seiten umfasste. In späteren Auflagen der Fachzeitschrift und des Handbuches – bis hinein in die späten 60er Jahre – war sein Name als Herausgeber von Fachkollegen getilgt worden.



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