Ulm News, 04.02.2020 14:54
Morphin in Lösungsmittel: Laborpanne führt zu Tatvorwurf gegen Krankenschwester - Frau aus Haft entlassen - Staatsanwalt entschuldigt sich
Beschreibung: Riesig war das Medieninteresse auch an der zweiten Pressekonferenz zu dem Fall an der Ulmer Kinderklinik.
Fotograf: Thomas Heckmann
Im Fall der Säuglinge, die kurzzeitig in Lebensgefahr waren und in Urin Morphin nachgewiesen worden war, hat die Ulmer Staatsanwaltschaft die Freilassung der beschuldigten und verhafteten Krankenschwester beantragt und in einer Pressekonferenz am Dienstag überraschende Gründe genannt. Die Frau sowie fünf ihrer Kolleginnen und Kollegen an der Ulmer Uniklinik gelten nach wie vor als verdächtig und sind vom Dienst freigestellt.
Text/Fotos: Thomas Heckmann
Das Medieninteresse war riesig. So wurde auch die Pressekonferenz live im Fernsehen übertragen. Hauptbelastungsindiz gegen die vergangenen Woche verhaftete Krankenschwester war eine mit Muttermilch gefüllte Spritze, die im Spind der Krankenschwester an ihrem Arbeitsplatz bei einer Durchsuchung gefunden wurde. Bei einer Untersuchung im Labor des Landeskriminalamtes (LKA) Baden-Württemberg wurde dort Morphin nachgewiesen. Die fünf im Dezember erkrankten Babys hatten Morphin im Blut, was durch ein Labor der Ulmer Uniklinik festgestellt wurde.
In der Pressekonferenz versuchten LKA-Präsident Ralf Michelfelder und seine Kollegin Andrea Jacobsen-Bauer vom kriminaltechnischen Institut die Untersuchungsmethode und das überraschende Fehlergebnis zu erklären. Bei einer zweiten Untersuchung fand sich zwar immer noch Morphin in der sichergestellten Muttermilch, aber auch in einer Vergleichsprobe, die eigentlich ohne Morphin sein hätte müssen.
Bei der Ursachenforschung fand man das Lösungsmittel, mit dem die Morphinbestimmung gemacht wurde. Dieses Lösungsmittel war mit Morphin verunreinigt und hatte daher immer Morphin angezeigt, in der Fachsprache „falsch positiv“. Daher wurde eine weitere Untersuchung beim LKA Bayern vorgenommen, die Muttermilchprobe wurde extra mit einem Hubschrauber dorthin geflogen, um Zeit zu sparen, sagte LKA-Chef Michelfelder in der Pressekonferenz. Auch in München wurde kein Morphin in der Muttermilch festgestellt. Außerdem konnten keine DNA-Spuren der Frau an der Morphin-Flasche gefunden werden. Die Frau hatte stets betont, die Morphin-Flasche niemals benutzt oder in der Hand gehabt zu haben. Sie hatte auch erklärt, warum eine Spritze mit Morphin- und Muttermilchrückständen in ihrem Schrank gefunden wurde. Demnach hatte sie die Spritze in ihrer Kitteltasche vergessen und zu Schichtende im Spind abgelegt.
Aufgrund der neuen Erkenntnisse war umgehend die Freilassung aus der Untersuchungshaft für die Krankenschwester beantragt worden. Ein Richter stimmte dem sofort zu und die Polizei holte die Frau aus dem Gefängnis ab und brachte sie nach Hause. Für diese Zeit in der Untersuchungshaft steht ihr auch eine Haftentschädigung zu.
Ein auch am Dienstag noch sichtlich zerknirschter Leiter der Staatsanwalt, Christoph Lehr, sagte, er habe sich umgehend telefonisch bei der Frau entschuldigt.
Verhaftet worden war die Frau am Freitag, nachdem das LKA der Staatsanwaltschaft das erste Untersuchungsergebnis telefonisch mitgeteilt wurde. Der Staaatsanwalt hatte die Verhaftung umgehend in die Wege geleitet, da er eine Gefahr auch für andere Babys sah. Am Samstag traten nun Zweifel am Untersuchungsergebnis auf, daher wurde dann in Wochenendarbeit bis Sonntag die zusätzliche Untersuchung in München durchgeführt.
Wie das Morphin in das Lösungsmittel geraten ist, ist noch unklar, möglich ist nach LKA-Aussage sogar eine Luftzug, der Morphin von einem Labor ins andere getragen hat. Die heutigen genauen Messgeräte hätten darauf angeschlagen.
„Vor zehn Jahren hätten wir sowas noch gar nicht messen können“, sagte Jacobsen-Bauer in Ulm. Nun ist die ermittelnde Staatsanwaltschaft ohne konkreten Tatverdacht und muss nochmals alle Möglichkeiten in Betracht ziehen, wie das Morphin in gleich fünf Kinder geraten ist.
Die beschuldigte Krankenschwester und fünf ihrer Kolleginnen und Kollegen bleiben vom Dienst beurlaubt. Alle sechs Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Ulmer Kinderklinik, die in der fraglichen nacht Dienst hatten, streiten
jeden Tatvorwurf ab.
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