Ulm News, 14.05.2019 12:47
73 Millionen Euro für Forschungsbau: Gebäude für Multidimensionale Trauma-Wissenschaften entsteht an der Uni Ulm
An der Universität Ulm entsteht ein einzigartiger Forschungsbau für „Multidimensionale Trauma-Wissenschaften“ (MTW). Das fast 5000 m2 große Gebäude soll passgenau auf die Bedürfnisse der Forschenden aus Medizin und Naturwissenschaften zugeschnitten werden. Ab voraussichtlich 2024 beherbergt der Neubau unter anderem hochspezialisierte biomedizinische Labore, eine Biobank für Blut- und Gewebeproben aus aller Welt sowie ein klinisches Studienzentrum. Das insgesamt über 73 Millionen Euro teure Gebäude wird aus Bundesmitteln, vom Land Baden-Württemberg sowie von der Medizinischen Fakultät der Universität Ulm finanziert.
Der Ausschuss Forschungsbauten des Wissenschaftsrats bezeichnete den Ulmer Antrag als „herausragend“: Nie gingen in diesem Förderverfahren mehr Bundesmittel nach Baden-Württemberg. „Am Universitätsstandort Ulm werden physische und psychische Traumata seit vielen Jahren auf höchstem Niveau erforscht und versorgt. Das große Engagement der beteiligten Ulmer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erfährt mit dem nun bewilligten Forschungsbau eine nachhaltige Würdigung. Die Entscheidung des Wissenschaftsrates ist eine hervorragende Auszeichnung für die Universität und das Universitätsklinikum. Ulm wird damit weltweit in der Traumaforschung eine noch stärkere Ausstrahlung erlangen“, sagt die baden-württembergische Wissenschaftsministerin Theresia Bauer.
Ein Unfall kann Menschen jeden Alters aus dem Leben reißen. Solche schweren Verletzungen lösen im Körper eine komplexe Reaktionskette aus, die alle Organsysteme betrifft. Ziel dieser körpereigenen „Gefahrenantwort“ ist die Heilung und Regeneration. Doch Störungen im Ablauf können fatale Folgen haben – von psychischen Erkrankungen bis zum Organversagen. Bisher ist das Verständnis der vielschichtigen Gefahrenantwort und Regeneration nach Trauma beschränkt, und somit fehlen wichtige Grundlagen für individuelle, auf das jeweilige Verletzungsmuster abgestimmte Therapien. Das neue MTW-Gebäude soll einen entscheidenden Beitrag zur Schließung dieser Forschungslücken leisten. „Bisher ist weltweit oft nur monodisziplinär zu schweren Verletzungen, wie sie bei Unfällen oder Terroranschlägen entstehen, geforscht worden. Ulmer Alleinstellungsmerkmal und Erfolgsrezept ist jedoch die Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen in der Traumaforschung und die enge Kooperation mit dem Bundeswehrkrankenhaus. Das MTW-Gebäude soll interdisziplinäre Forschungsvorhaben bündeln und zu einem noch regeren Austausch beitragen – auch dank der integrierten Kommunikationsflächen“, erklärt Professor Thomas Wirth, Dekan der Medizinischen Fakultät und Präsident der Deutschen Traumastiftung. Die Ulmer Traumaforschung ist international sichtbar und zählt zu den strategischen Entwicklungsbereichen der Universität. Wichtige Vorarbeiten sind bereits in klinischen Forschergruppen und im Trauma-Sonderforschungsbereich 1149 entstanden, die Teil der Kooperationsplattform „Zentrum für Traumaforschung“ (ZTF) sind. Dazu kommen gemeinsame Projekte der Universitätsmedizin mit dem Bundeswehrkrankenhaus Ulm.
In der Traumaforschung profitieren die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von der ausgewiesenen psychiatrischen und psychologischen Kompetenz am Standort. Weitere Überschneidungen bestehen mit Verbundprojekten aus den Bereichen Peptid- und Tumorforschung sowie mit der Alternsforschung. „Die Forschung im neuen MTW-Gebäude baut auf diesen Vorleistungen auf, umfasst aber inhaltlich wie methodisch wichtige Erweiterungen. Die gemeinsamen Forschungsanstrengungen im MTW-Gebäude zielen darauf ab, die hochkomplexe Antwort nach Trauma im gesamten Organismus räumlich und zeitlich aufzulösen, um damit neue Mechanismen aufzudecken, “ sagt Professor Markus Huber-Lang, einer der federführenden Antragsteller und Gründungsdirektor des MTW-Gebäudes. In 19 Arbeitsgruppen werden über 200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im MTW-Gebäude verschiedenste Aspekte der Traumaforschung in den Bli
c k nehmen. Darunter fällt beispielsweise die Gewebe-Regeneration nach schweren Verletzungen: Oft zeigen Traumapatienten eine gestörte Knochen- und Wundheilung, doch mithilfe von Stammzellen konnten erste Behandlungserfolge erzielt werden.
Weitere Forschungsfelder betreffen organspezifische Störungen nach Verletzungen. Dabei suchen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach Biomarkern, die frühzeitig Störungen der Zell- sowie Organfunktionen anzeigen, und die sich für ein Echtzeitmonitoring bei Traumapatienten eignen. Besonders gefährdet sind Unfallopfer mit Gehirnverletzungen: Das Schädel-Hirntrauma zählt sogar zu den häufigsten Todesursachen in Deutschland. Mit vielfältigen Methoden – unter anderem anhand von „Minibrains“ aus pluripotenten Stammzellen – wollen die Forschenden vor allem posttraumatische Änderungen bei der Verschaltung und Regeneration von Nervenzellen im Gehirn untersuchen.
Eine Ulmer Spezialität ist bereits die Erforschung des Zusammenspiels psychischer und körperlicher Traumaschäden, die den Heilungsverlauf beeinflussen. Darüber hinaus sollen im MTW-Gebäude Entzündungsreaktionen und Veränderungen der körpereigenen Mikroorganismen bei Traumapatienten untersucht werden. Daher wird ein neuer Forschungsbereich etabliert, der sich mit der Entstehung von Giften durch Bakterien nach schweren Verletzungen beschäftigt (Traumatoxikologie). „Bei allen Forschungsvorhaben haben wir ,Störfaktoren‘ wie Vorerkrankungen und das Lebensalter der Patienten im Sinn, denn diese Faktoren können die körpereigene Reaktion auf Trauma erheblich beeinflussen. Übergeordnetes Ziel der Arbeitsgruppen ist natürlich die Überführung der Forschungsergebnisse in klinische Diagnostik-, Therapie und Präventionskonzepte“, sagt Professorin Anita Ignatius, stellvertretende Gründungsdirektorin des MTW-Gebäudes, die an der Beantragung des Forschungsbaus maßgeblich beteiligt war. Dieses anspruchsvolle wissenschaftliche Programm erfordert eine hochspezialisierte Infrastruktur. „Das MTW-Gebäude entsteht auf dem Campus in unmittelbarer Nachbarschaft zu medizinischen und naturwissenschaftlichen Instituten mit Traumabezug und zum Universitätsklinikum. Projektleitung und Baudurchführung erfolgt durch Vermögen und Bau Baden-Württemberg, Amt Ulm“, beschreibt Wilmuth Lindenthal, Amtsleiter und Architekt. Neben biomedizinischen und infektiologischen Laboren der Sicherheitsstufe 2 beherbergt das MTW-Gebäude Räume für moderne bildgebende Verfahren wie CT oder MRT sowie virtuelle Traumalabore für Computersimulationen.
Ein klinisches Studienzentrum, in dem auch Proben entnommen und Traumapatienten untersucht werden können, sowie eine Biobank mit Gewebeproben komplettieren die Ausstattung. Der Baubeginn ist für Februar 2021 geplant. „Das MTW-Gebäude ist eine wichtige Erweiterung der Forschungsinfrastruktur an der Universität Ulm: Ganz im Sinne des Gründungsgedankens schlägt es eine Brücke von der Medizin zu den Naturwissenschaften und letztlich zur Universitätsklinik, in der Patienten nach physischem und psychischem Trauma auf höchstem Niveau versorgt werden“, betont Professor Michael Weber, Präsident der Universität Ulm.
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