Ulm News, 04.05.2019 11:00
Netzhautscans bei psychischen Erkrankungen - Schizophrenie könnte „ins Auge gehen“


Beschreibung: Oberarzt Prof. Carlos Schönfeldt-Lecuona forscht an der Universitätsklinik Ulm für Psychiatrie und Psychiatrie III
Fotograf: Uniklinik Ulm)

Die Diagnose psychischer Erkrankungen wie Schizophrenie ist selbst für erfahrene Psychiater oft herausfordernd. Denn die Symptome können sehr vielfältig sein: Bei der Schizophrenie reichen sie von Halluzinationen und Wahnvorstellungen bis zur völligen Antriebslosigkeit, wie sie auch bei schweren Depressionen vorkommt. Die Suche nach biochemischen Markern im Blut oder Nervenwasser sowie nach Hinweisen durch bildgebende Verfahren, die eine Diagnose untermauern könnten, war bisher nicht erfolgreich. Doch nun haben Ulmer Neurologen und Psychiater Auffälligkeiten an der Netzhaut im Auge von Schizophrenie-Patienten entdeckt.
Im Fachjournal Schizophrenia Research gehen sie der Frage nach, ob eine Augenuntersuchung mit der Optischen Kohärenztomographie (OCT) einen Beitrag zur besseren Diagnostik bei psychischen Erkrankungen leisten kann.
Die Schizophrenie ist eine vielschichtige Erkrankung, die oft mit Realitätsverlust durch Wahnvorstellungen und Halluzinationen sowie mit Störungen des Denkens und der Sprache einhergeht. Neben diesen Hauptsymptomen berichten viele Patientinnen und Patienten über Probleme beim Sehen: Sie sehen zunehmend unscharf und haben Schwierigkeiten, Kontraste oder Bewegungen korrekt wahrzunehmen. Da sich die Netzhaut (Retina) und der optische Nerv aus dem Zwischenhirn entwickeln, wird das Auge zunehmend als „Fenster zum Gehirn“ angesehen. Zudem ist eine Augenbeteiligung für andere Erkrankungen des zentralen Nervensystems schon lange bekannt. Beispiele reichen von der Multiplen Sklerose bis zur Alzheimer-Demenz und Morbus Parkinson – in diesen Fällen lässt sich eine Netzhautbeteiligung mittels OCT zeigen.
Ob und inwiefern sich auch Veränderungen bei psychiatrischen Erkrankungen wie der Schizophrenie im Auge nachweisen lassen, haben Forscher um den Ulmer Psychiater Professor Carlos Schönfeldt-Lecuona und den Neurologen Professor Elmar Pinkhardt untersucht. Dafür nutzten die Wissenschaftler die Optische Kohärenztomographie, ein nichtinvasives und dreidimensionales Bildgebungsverfahren aus der Augenheilkunde, mit dem sich Dicke und Volumen der Netzhautschichten schnell, genau und nebenwirkungsfrei bestimmen lässt.
Bei 26 Ulmer Patientinnen und Patienten mit einer Schizophrenie oder schizoaffektiven Störungen wurden die Netzhautscans durchgeführt und mit einer gesunden Kontrollgruppe verglichen. „Zum ersten Mal haben wir bei Schizophrenie-Patienten und einer in Alter und Geschlecht entsprechenden Kontrollgruppe eine hoch aufgelöste Einzelschichtanalyse der Netzhaut durchgeführt. Um Ungenauigkeiten der Software auszuschließen, wurde die Segmentierung der Netzhautschichten zudem manuell korrigiert“, beschreibt Professor Carlos Schönfeldt-Lecuona von der Universitätsklinik Ulm für Psychiatrie und Psychotherapie III das aufwändige Verfahren. Die Ergebnisse sind eindeutig: Bei Schizophrenie-Patienten zeigt die Untersuchung eine stark reduzierte Dicke und ein geringeres Volumen fast aller gemessener Netzhautschichten. Im Vergleich zu gesunden Probanden erreichen die Unterschiede eine statistische Signifikanz für Makulavolumen und -dicke sowie für die retinale Nervenfaserschicht und die innere Körnerschicht. Dabei nimmt das Gesamtvolumen der Nervenfaserschicht mit längerer Krankheitsdauer ab.
Diese Ergebnisse passen zu volumetrischen Studien mittels Magnetresonanztomographie (MRT), wonach bei dieser Art von Erkrankungen teils eine neurodegenerative oder entzündliche Komponente angenommen wird: Mehrere MRT-Meta-Analysen konnten bei Schizophrenie-Patienten bereits eine Verringerung des Hirnvolumens feststellen. Aufgrund der gekoppelten Entwicklung von Gehirn und Netzhaut sehen Forschende einen möglichen Zusammenhang mit den aktuellen Ergebnissen: „Gemeinsam mit den Studien, die eine MRT-Volumenänderung zeigen, liefern unsere Erkenntnisse weitere Hinweise darauf, dass die Schizophrenie eine Verschmälerung der Netzhautschichten verursacht, die mit OCT nachweisbar ist“, erklärt Professor Elmar Pinkhardt. Allerdings sind die zugrundeliegenden Mechanismen der strukturellen Netzhautveränderungen noch nicht ausreichend verstanden.
Die Ergebnisse der Netzhautuntersuchung ermöglichen weitere Einblicke in die Entstehung der Schizophrenie und könnten e
ines Tages von diagnostischer Relevanz sein. „Es ist durchaus denkbar, dass die OCT in Zukunft helfen könnte, beispielweise die verschiedenen Unterformen der Schizophrenie schneller zu identifizieren und sogar die Therapie individueller zu gestalten“, betonen die Wissenschaftler. Dazu sein jedoch weitere Untersuchungen nötig.








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