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Ulm News, 22.12.2010 17:46

22. Dezember 2010 von Thomas Kießling
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Hits, Musik und Politik - Erstes gemeinsames Interview von Joo Kraus und Hellmut Hattler seit vielen Jahren


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Beschreibung: Joo Kraus und Hellmut Hattler

Fotograf: Martian Strilic

Foto in Originalgröße



Joo Kraus und Hellmut Hattler verbindet eine lange und ungewöhnlich erfolgreiche Vergangenheit. Die beiden Vollblutmusiker waren mit dem Bandprojekt "Tab Two" national und international sehr erfolgreich. Ende der 1990er Jahre trennte sich das Duo und ging privat wie musikalisch getrennte Wege. Erstmals seit Trennung saßen Joo Kraus und Hellmut Hattler an einem Tisch und gaben ein gemeinsames Interview. Das Interview führte Ralf Grimminger (ulm-news) für das Buch "Ulm kreativ", das die Werbeagentur stacheder und sander (Fotos: Martina Strilic) vor kurzem veröffentlichte. Das Buch ist nicht im Handel erhältlich.

Joo Kraus und Hellmut Hattler verbindet eine lange und ungewöhnlich erfolgreiche Vergangenheit. Joo Kraus gab Hellmut Hattlers Band „KRAAN“ in den späten 80ern als Trompeter neue Impulse.
Aus dieser Zusammenarbeit entstand das gemeinsame Projekt „Tab Two“, das neue musikalische Maßstäbe setzte. Der „HipJazz“ von Hattler und Kraus, die neben ihren Instrumenten auch vorproduzierte Sounds und Drumloops einsetzten und das Ganze mit Rap kombinierten, ließ weltweit aufhorchen.
Tina Turner übernahm eine Komposition der Ulmer für ihr letztes Album, mit „No Flagman Ahead“, „Belle Affaire“ und „Let it Flow“ hatten „Tab Two“ auch einige eigene Hits. Es wurden tausende CDs verkauft – und ein Konzert nach dem anderen gespielt. Im letzten Jahr ihres Bestehens spielte „Tab Two“ 140 Konzerte, davon 55 Konzerte in 60 Tagen.
Wenn sie nicht auf der Bühne, im Hotel oder auf der Straße waren, spielten die beiden Vollblutmusiker im Studio neue Songs ein oder waren auf Promotour für ein neues Album.
„Tab Two“ nahmen in acht Jahren acht Alben auf und spielten zirka 700 Konzerte. Joo Kraus war dieser Stress zu viel. Er trennte sich von seinem musikalischen Partner, mit dem er in den vergangenen Jahren immens viel gemeinsame Zeit verbracht hatte. Hellmut Hattler wiederum wollte nicht verstehen, warum die auch kommerziell erfolgreiche Band so einfach gegen die Wand gefahren wurde. Die beiden Musiker gingen sich aus dem Weg und trafen sich – eher zufällig – zwei oder dreimal in Ulm. Erstmals saßen Joo Kraus und Hellmut Hattler nun wieder gemeinsam an einem Tisch und tauschten im Gespräch mit dem Journalisten Ralf Grimminger recht kreativ und ziemlich entspannt ihre Ideen und Vorstellungen aus.

Kreativität

Joo Kraus: Das ist für mich, etwas Neues machen. Einfach nur Reproduktion ist keine Kreativität. Die von mir bearbeiteten Michael Jackson-Songs sind auch etwas Neues. Kreativität entsteht aus dem Herzen heraus.

Hellmut Hattler: Etwas aus dem Nichts heraus zu erschaffen. Das funktioniert am besten, wenn du nichts willst oder nichts zu verlieren hast. Nicht nur „Flagman Ahead“ von Tab Two ist so entstanden.

Joo Kraus: … ja genau, das stimmt.

Jugend

Hellmut Hattler: Ich habe früh gemerkt, dass ich ein bisschen anders ticke und vieles anderes machen wollte als meine Altersgenossen. Alles, was mir wichtig war, habe ich gegen alle Widerstände durchgeboxt. Meine Eltern starben als ich 13 Jahre alt war. Das war zwar schlimm, aber gleichzeitig auch eine Befreiung, denn plötzlich musste ich nicht mehr Maschinenbauingenieur werden, sondern konnte mich voll auf die Musik einschießen. In meinen ersten Bands wollte ich eigene Stücke spielen, was nicht immer auf breite Zustimmung stieß. Wichtig war mir, dass die Richtung schon mal stimmte.

Joo Kraus: Ich bin der richtig Musische in der Familie. Meine Eltern spielten hobbymäßig klassische Musik und mein Vater wäre wohl gerne Musiker geworden. Ich wollte Schlagzeug spielen, über die Posaune kam ich zur Trompete. Widerstände gab es, als ich Jazzmusik studieren wollte.

Angst

 Joo Kraus: Angst blockiert die Kreativität. Ich lese Gedichte, programmiere Sounds oder jamme mit anderen Musikern, um weiter zu kommen. Ein Musiker muss auch aus wirtschaftlichen Gründen ja immer kreativ sein. Da ist schon auch ein gewisser Zwang da. Und das blockiert.

Hellmut Hattler: Aus Angst, dass mir mal nichts mehr einfallen sollte, wenn ich älter bin, habe ich am Anfang meiner Laufbahn Massen von Kassetten mit Ideen bespielt. Diese Kassetten müsste ich auch immer noch irgendwo rumliegen haben, aber ich habe sie nie gebraucht... Opportunisten machen mir Angst – fast so viel wie ideologische und religiöse Eiferer, denn die gehen ja gern mal über Leichen im Namen irgendeiner guten Sache. 

Hit

Hellmut Hattler: Wenn man in der Kunst den Erfolg zu sehr will, riecht man das raus und das mag ich gar nicht. Aber wenn etwas, das man aus echter Leidenschaft heraus erschaffen hat, von vielen geliebt und gekauft wird, ist das für mich der absolute Oberhimmel.


Joo Kraus: ... ein Hit entsteht im Kern zufällig, nicht kalkuliert.

Cover

Joo Kraus: Auch das Bearbeiten oder Interpretieren eines fremden Songs ist kreativ. Sonst wären ja sämtliche klassischen Musiker nicht kreativ. Ich habe vor diesen einen Riesenrespekt.

Hellmut Hattler: Ich habe es bis vor wenigen Jahren komplett abgelehnt, Coverver sio nen zu spielen, weil es dafür geeigneteres Fachpersonal gibt als mich. Erst im Zusammenspiel mit meiner Freundin, der Sängerin Siyou, haben wir einen Modus gefunden, aus etwas Bestehendem etwas ganz Eigenes entstehen zu lassen. Seither sehe ich das alles weit weniger eng...

Andere Musiker

Joo Kraus: Musiker wie Omar Sosa oder Nana Mouskouri haben mich sehr inspiriert. Von ihnen habe ich sehr viel gelernt. Egal, ob mit Musikern aus New York, Kuba, Afrika, Island oder Ulm – es entsteht immer etwas Gutes, wenn die Musiker offen und gut sind.

Hellmut Hattler: Mit KRAAN, mit „Siyou’n’Hell“ und mit meiner eigenen Band „HATTLER“ wird ja konzeptionell jeweils komplett anders gearbeitet, aber immer gilt: Entsteht beim Zusammenspiel etwas Größeres als die Summe seiner Einzelteile, ist alles gut. Da passiert dann auch zwischen den Menschen etwas Erfrischendes. Solche Sachen interessieren mich und halten mich am Laufen.

Drogen

Hellmut Hattler: Das kann kurzfristig durchaus mal die Kreativität pushen, weil man sich groß und überlegen fühlt...

Joo Kraus: ...ja, Kreativität und Drogen, das funktioniert sicherlich eine Zeitlang. Das weiße Pulver hat aber keine Idee, die Idee steckt in dir. Hellmut Hattler: Ich habe mal bei Aufnahmen den A/B-Test gemacht. Ohne Drogen waren die Sachen immer besser. Man kann sich auf lange Sicht nichts auf der Welt schöner kiffen oder saufen als es ist – und Gott sei Dank ist die Musik da unerbittlich ehrlich.

Arbeit

Joo Kraus: Arbeit ist wichtig, Talent allein reicht nicht. Als Kind und Jugendlicher habe ich viele Stunden am Tag geübt, heute übe ich vielleicht eine Stunde. Nach meiner Zeit bei Tab Two habe ich an meiner Trompeten-Technik gearbeitet. Die verbesserte Technik half mir noch kreativer zu sein. Früher versuchte ich bestimmte Tonfolgen gar nicht, der Kopf sagte schon vorher: Das funktioniert nicht. Heute spiele ich freier, improvisiere noch mehr, weil ich weiß: Ich kann es.

Hellmut Hattler: Ich übe nicht gezielt, ich will nur spielen. Wenn ich an einer Idee dran bin, die ich technisch umsetzen will, kann man vielleicht von Üben reden. Ich bin ja kein Dienstleister und brauche nicht alles zu können; eigentlich fühle ich mich nur meinen eigenen Ideen und Gefühlen verpflichtet. Und wenn, wie jetzt grade, ein Album fertig ist, ruhe ich mich gern auch mal ausgiebig auf den gefühlten Lorbeeren aus. Und fühle mich supergut. 

Technik

Hellmut Hattler: Spieltechnik nützt sicherlich zur besseren Umsetzung meiner Gefühle. Technik ist als Mittel zum Zweck hochwillkommen. Egal ob im Studio oder auf der Bühne. Wenn das Herz ja sagt, funktioniert ein Song oder ein Auftritt. Mit oder ohne viel Technik.

Joo Kraus: Nach Tab Two wollte ich nicht mehr mit Maschinen spielen. Ich genoss und genieße es, viele, vor allem vorher nicht abgezählte Takte für ein Solo zu haben. Wobei es auch toll ist, wenn du weißt, ich habe für das Solo nur acht Takte zur Ver - fügung. Mach was draus und es wird was draus. „Tab Two“ war deswegen nie wirklich eine Maschinenband...

Hellmut Hattler: ...weil unsere Lebendigkeit immer im Vordergrund stand.

Kreativ

Joo Kraus: Kochen! Ja, und ich mache kleine Videos, schneide die auch. So sind alle Videos zum neuen Album von mir gemacht.

Hellmut Hattler: Ich unterscheide ja stark zwischen „Prozess“ und „Produkt“. Aber beide Phasen sind höchst kreativ. Wenn der schöpferische Prozess abgeschlossen ist, kümmere ich mich um die Verwertung und Verbreitung des Produkts, buche Konzerte, mache also alles, damit die Musik auch ein paar Ohren findet.

Joo Kraus: ...ich finde, du zeichnest und malst auch richtig klasse. Politik Hellmut Hattler: Ich habe mal für die Grünen im Stadtrat kandidiert, weil ich mich gerne engagiere. Parteipolitik ist mir aber im Grunde suspekt, weil man immer einen nach außen verkaufbaren Konsens suchen muss. Wenn ich so Musik machen würde, käme sicherlich nichts allzu Originelles bei raus.

Joo Kraus: Ich bin gegen Stuttgart 21, dieses wahnwitzige Städtebauprojekt und Prestigeobjekt für Politiker. Ich bin für den Kopfbahnhof. Ich demonstriere im Rahmen meiner Möglichkeiten, spiele auf Demos oder übernachte im Schlosspark. Aber in keiner Partei – und frei. Ha, das reimt sich!

Einstellung

Hellmut Hattler: Der vielzitierte Satz „Egal was du machst, mach es gut“ ist Grütze. WAS sollte immer vor dem WIE stehen. Joo Kraus: ...Ja, erst kommt: Was mache ich, dann wie mache ich es.

Hellmut Hattler: In unserer multi-optionalen Zeit ist es halt zunehmend schwierig, aus diesem Gebirge von Möglichkeiten herauszufischen, was wirklich gut für mich und andere ist.

Radio

Joo Kraus: Gibt es bei mir nicht, die hiesige Radiolandschaft ist grässlich und hemmt jegliche Kreativität.

Hellmut Hattler: Das Formatradio mit 10 Mal dem gleichen Hit am Tag lässt die Hör gewohnheiten der Hörer verkümmern und wenn ich noch dabei zuhören muss, wie Güterzüge von Gema-Tantiemen aus dem Land gekarrt werden, wird mir schlecht. Wenn man sich als Künstler außerhalb des Mainstream bewegt, hat man ja keinerlei Chance mehr, gesendet zu werden. Das nervt mich seit Jahren. Aber ich hab ja eh kein Empfangsgerät mehr im Haus – und das hat auch was Gutes: So kann ich wenigstens die Musik in meinem Kopf besser hören.

Familie

Joo Kraus: Meine Familie erdet mich. Ich bin auch gerne zu Hause, solche Tourneen wie mit Tab Two würde ich heute nicht mehr mitmachen. Wenn ich unterwegs bin, dann fehlt mir was.

Hellmut Hattler: Es ist schwer f&uum l;r jemanden, der mit seinem Bass verheiratet ist, eine dauerhafte Beziehung aufrecht zu erhalten. Ich habe dreimal sehr ernsthaft versucht eine Familie zu gründen – aber es nicht langfristig geschafft. Wenn ich nicht unterwegs bin, habe ich regelmäßig meine Kinder im Haus, das genieße ich sehr. Siyou, meine jetzige Partnerin, ist ja auch professionelle Musikerin und da gibt es natürlic h ganz viele Ge - meinsamkeiten, die alles viel einfacher machen. Wir sind beide gern zuhause in Ulm, aber genauso gern auch auf Bühnen, in Hotels und auf der Straße unterwegs.

Was ich noch fragen wollte:

Joo Kraus: Hast du dich in den letzten Jahren verändert?

Hellmut Hattler: Wollen wir mal wieder einen Gig zusammen spielen?

Joo Kraus: Jahrgang 1966, mit seiner Frau glücklich unverheiratet, drei Kinder. Er veröffentlichte mit seiner Band „Tales in Tones“ im Oktober sein aktuelles Album „Songs from Neverland“ mit jazzigen Interpretationen von Songs von Michael Jackson. Das Album erhielt sehr gute Kritiken und verkauft sich gut.

Hellmut Hattler: Jahrgang 1952, war drei Mal verheiratet und hat sechs Kinder. Im November veröffentlichte er mit seiner Band „HATTLER“ das Album "Gotham City Beach Club Suite“. Das Album erhält viele Bestbewertungen und läuft sehr gut an. Im kommenden Jahr feiert „KRAAN“, Hattlers erste Band, das 40-jährige Bühnenjubiläum mit neuer CD und Tour.

❦ Autor: Ralf Grimminger Ulmer Pressedienst, ulm-news.de

Gewinnspiel/Bücherverlosung

ulm-news verlost 15 Bücher "ulm kreativ" mit dem ausführlichen Interview mit Joo Kraus und Helmut hattler sowie den Fotos von Martina Strilic. Frage: Wie hieß der größte Hit von Tab Two. Antworten bitte unter Stichwort Tab Two an redaktion@ulm-news.de (Bitte Postadresse angeben). Einsendeschluss ist der 6.1.2011. Viel Glück.



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