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Ulm News, 02.09.2014 12:50

2. September 2014 von Thomas Kießling
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ALS – die Krankheit hinter dem Eiskübel: Neurologieprofessor Ludolph über ALS-Forschung in Ulm


Die „Eiswelle“ ist längst über den Atlantik von den USA nach Deutschland geschwappt: Überall im Land lassen sich Prominente und zunehmend auch Normalbürger mit kaltem Wasser übergießen.

Tatsächlich hat die „Ice Bucket Challenge“ (Eiskübel-Herausforderung) einen ernsten Hintergrund. Mit der Aktion soll auf die tödliche Nervenkrankheit Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) aufmerksam gemacht werden, bei der eine Schädigung der so genannten Motoneuronen zu Muskelschwund sowie Lähmungen führt. An ALS gestorben ist zum Beispiel der Künstler Jörg Immendorff, der britische Physikprofessor Stephen Hawking gilt als „Langzeitüberlebender“.

Professor Albert Christian Ludolph, Ärztlicher Direktor der Ulmer Universitätsklinik für Neurologie (Rehabilitations- und Universitätskliniken Ulm/RKU) und Direktor des ALS-Forschungszentrums, informiert über das tückische Nervenleiden und Forschungserfolge aus Ulm.

Herr Professor Ludolph, was passiert im Körper von Patienten mit Amyotropher Lateralsklerose?

Ludolph: „ALS beginnt im Gehirn und zerstört Schritt für Schritt das motorische System des Patienten. Betroffen sind also Gestik, Mimik, Körperhaltung und alles, was damit zu tun hat, dass wir uns bewegen. Viele Patienten sind auf einen Rollstuhl angewiesen und können irgendwann nicht mehr selbstständig atmen. Teils ist es ihnen nicht möglich, Kontakt zu ihrer Umwelt aufzunehmen – sie sind eingesperrt im eigenen Körper."

Über die Krankheitsentstehung ist wenig bekannt. Dabei erhält etwa jeder 400. Deutsche die Diagnose ALS. Gibt es Neuigkeiten aus der Forschung?

Ludolph: „Eines der wichtigsten Forschungsergebnisse der letzten 30 Jahre zur Krankheitsentstehung und -ausbreitung kommt aus Ulm: Ein bestimmtes Protein wird von Nervenzelle zu Nervenzelle weitergegeben, lagert sich in den Neuronen ab und führt zu ihrem Untergang. Ulmer Forscher um Prof. Heiko Braak und Prof. Johannes Brettschneider konnten daraufhin ein typisches Schädigungsmuster im Zentralen Nervensystem identifizieren und Krankheitsstadien ableiten. Solche Erkenntnisse auf molekularer Ebene tragen dazu bei, ALS besser zu verstehen und zu bekämpfen."

Stichwort Therapie: ALS ist nach wie vor unheilbar. Wie werden Patienten in Ihrer Klinik behandelt?

Ludolph: „Tatsächlich kann der Krankheitsverlauf mit Medikamenten nur verzögert werden, eine Heilung ist nicht in Sicht. Insgesamt hat sich die Prognose aber etwas verbessert: Heute überleben fünf Prozent der Betroffenen mehr als zehn Jahre. Dafür gibt es verschiedene Gründe: Wir haben zum Beispiel beobachtet, dass ALS aggressiver verläuft, wenn Patienten massiv an Gewicht verlieren. Wir achten also darauf, dass Betroffene genug Kalorien zu sich nehmen – auch wenn sie nicht mehr eigenständig schlucken können. Weiterhin gilt es, Lungenentzündungen zu vermeiden, die infolge der geschwächten Atemmuskulatur auftreten. Ein Grund, warum Stephen Hawking seit Jahrzehnten mit der Krankheit lebt, ist wohl sein Luftröhrenschnitt. Für unsere Patienten sind zudem physio- und ergotherapeutische Maßnahmen wichtig. Über Sprachcomputer können sie mittlerweile auch in fortgeschrittenen Krankheitsstadien mit ihrer Umwelt kommunizieren."

Anfang 2013 sind das ALS-Forschungszentrum und ein Virtuelles Helmholtz-Institut zur ALS an der Universität Ulm eröffnet worden. Welche Rolle spielt der Standort in der ALS-Forschung?

Ludolph: „In der klinischen Forschung und Krankenversorgung sind wir neben d er Berliner Charité führend. Mit dem ALS-Register Schwaben können unsere rund 25 ALS-Forscher auf ein besonders großes Patientenkollektiv zurückgreifen. In Ulm laufen zudem die Fäden eines deutschlandweiten ALS-Netzwerks zusammen. Aktuell koordinieren wir zum Beispiel eine Studie, in der die Auswirkung einer höheren Kalorienzufuhr bei ALS-Patienten untersucht wird. Darüber hinaus versorgen Ärzte, Pfleger und Therapeuten etwa 800 Patienten pro Jahr. Von ihrem großen Engagement profitieren die Betroffenen unmittelbar."

Wie stehen Sie zur Ice Bucket Challenge? Haben Sie bereits teilgenommen?

Ludolph: „Ich halte viel von der challenge, auch wenn ich mich nicht mit Eiswasser übergieße. Alles, was die Krankheit bekannter macht, ist gut. Immerhin ist die ALS ungefähr so häufig wie Multiple Sklerose! Ich forsche seit 35 Jahren zur ALS und habe viele der Ärzte, die in Deutschland auf diesem Gebiet tätig sind, ausgebildet. So viel Aufmerksamkeit haben wir noch nie bekommen. Am RKU sind wir uns einig: Wer die Krankheit und ALS-Patienten kennt, kann gar nichts gegen die Spendenaktion haben."

Sind durch die Challenge vermehrt Spenden bei Ihnen angekommen?

Ludolph: "Unsere Forschung wird vor allem von der gemeinnützigen Charcot-Stiftung unterstützt, einer der traditionsreichsten Stiftungen um ALS unter dem Dach der Ulmer Universitätsgesellschaft. Ich habe noch nicht nachgesehen, würde mich aber freuen, wenn am Ende des Jahres mehr Geld auf dem Konto eingegangen ist."



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