Ulm News, 03.09.2013 16:00
Neuropathologische Stadien zur Einteilung des ALS-Verlaufs identifiziert
Zellschädigendes Protein TDP-43 breitet sich über Axone im Nervensystem aus Bei der tödlichen Nervenkrankheit Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) kommt es zu einem fortschreitenden Untergang der bewegungskontrollierenden Nervenzellen in Gehirn und Rückenmark.
Die Folge: zunehmende Lähmungen und schließlich der Tod – oft verursacht durch den Ausfall der Atemmuskulatur. Wie sich die Schädigung typischerweise im zentralen Nervensystem ausbreitet, haben Forscher aus Ulm und Philadelphia untersucht. In ihrem Fachartikel in „Annals of Neurology“ beschreiben sie, dass das Protein TDP-43 offenbar von Neuron zu Neuron weitergegeben wird. Dieses Eiweiß lagert sich bei der ALS in Nervenzellen ab. Bei ihren Untersuchungen konnten die Wissenschaftler typische Schädigungsmuster identifizieren – vom Motorcortex über weiter im Stirnhirn liegende Hirnregionen bis in den Schläfenlappen – und den Verlauf der neuropathologischen Veränderungen in Stadien einteilen. Die Erkenntnisse der Ulmer Forscher um Professor Heiko Braak, Dr. Dr. Kelly Del Tredici, Professor Johannes Brettschneider, sowie Professor Albert Ludolph helfen nicht nur, den Krankheitsverlauf besser zu verstehen. Sie könnten auch neue Ansatzpunkte für die bisher unbefriedigende medikamentöse Behandlung der ALS aufzeigen. Bereits 2006 hat die Gruppe um Professorin Virginia Lee und Professor John Trojanowski, Mitautoren des jetzt erschienenen Beitrags, TDP-43 als wichtigsten Bestandteil von Ablagerungen in Nervenzellen bei ALS-Patienten beschrieben: Das Eiweiß verursacht „Verklumpungen“ in der Zelle und führt schließlich zu ihrem Untergang. Jetzt konnte die deutsch-amerikanische Forschergruppe um den Ulmer Erstautoren Johannes Brettschneider zeigen, dass sich das Protein wohl über Axone – eine Art „Kabel“ zur Informationsweitergabe – im zentralen Nervensystem von Neuron zu Neuron ausbreitet. „Der typische von uns beobachtete Verlauf der Pathologie bei ALS vom Motorcortex über den Frontallappen könnte erklären, warum ein Teil der Patienten zusätzlich Symptome einer frontotemporalen Lobärdegeneration mit Demenz entwickelt“, sagt Johannes Brettschneider, Oberarzt an der Ulmer Universitätsklinik für Neurologie und Wissenschaftler am Zentrum für Biomedizinische Forschung. Jetzt könne man nach Wegen suchen, die Weitergabe des Proteins pharmakologisch zu unterbinden. Für den Fachartikel haben die Forscher Proben aus 22 Hirnregionen von 76 amerikanischen ALS-Patienten immunhistochemisch gefärbt und unter dem Mikroskop untersucht. Als weiteres wichtiges Ergebnis der Studie gelang es der Gruppe, den typischen Verlauf der ALS in vier vorläufige Stadien einzuteilen. Der Anatom Heiko Braak hat weltweit verwendete Stadien entwickelt, die eine Klassifikation des Verlaufs der neurodegenerativen Krankheiten Alzheimer und Parkinson ermöglichen. In einem nächsten Schritt gilt es, die ALS-Stadien bei lebenden Patienten zu erkennen und ihre Behandlung entsprechend auszurichten. „Dafür werden an unserer Klinik verschiedene Ansätze beforscht. So gibt es zum Beispiel Bemühungen, typische Schädigungen im Kernspintomographen zu identifizieren“, sagt Albert Ludolph, Ärztlicher Direktor der Ulmer Universitätsklinik für Neurologie. Pro Jahr erkranken etwa zwei bis drei von 100 000 Einwohnern an ALS. Männer sind etwas häufiger betroffen als Frauen. Man unterscheidet eine spontan auftretende Form von der selteneren familiären ALS mit erblicher Komponente. Oft sterben Patienten drei bis fünf Jahre nach Krankheitsbeginn. Es gibt aber auch „Langzeitüberlebende“ wie den britischen Physikprofessor Stephen Hawking, den die Nervenkrankheit seit vielen Jahren an den Rollstuhl fesselt. Ein weiterer bekannter ALS-Patient war der Maler Jörg Immendorff. Die akt uelle Studie in Annals of Neurology wurde von den „National Institutes of Health“ (NIH), verschiedenen Stiftungen und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert. Weiterführende Untersuchungen werden sich in das Anfang des Jahres gegründete Ulmer ALS-Forschungszentrum und das Virtuelle Institut der Helmholtz-Gemeinschaft „RNA Dysmetabolismus bei Amyotropher Lateralsklerose und Frontotemporaler Demenz“ einfügen. Die Ulmer Universitätsklinik für Neurologie ist in der ALS-Forschung führend und verfügt mit dem ALS-Register Schwaben über eine bedeutende Fallsammlung.



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