Ulm News, 10.11.2017 00:29
Eindrucksvolle Gedenkfeier zur Pogromnacht auf dem Weinhof in Ulm
In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 brannten überall in Deutschland die Synagogen. Oberbürgermeister Gunter Czisch erinnerte bei der Gedenkfeier zur Pogromnacht, die sich zum 79. Mal jährte, an die Zeit, "in der der Bürgersinn versagt hat", in der jüdische Geschäfte demoliert, jüdische Bürgerinnen und Bürger aus ihren Wohnungen geholt, öffentlich misshandelt und gedemütigt und später ermordet wurden. Zur eindrücklichen Gedenkfeier auf den Weinhof, dem Ort der früheren Synagoge, waren am Donnerstagabend gut 200 Ulmerinnen und Ulmer gekommen.
Die Gedenkfeier auf dem Weinhof wurde von Schülerinnen und Schülern sowie dem jungen Kammerchor des Ulmer Humboldt Gmnasiums eindrucksvoll jüdischen Liedern musikalisch gestaltet.
Mitglieder der Initiative "Ulmer Stolpersteine" erinnerten an den Ulmer Juden Julius Barth. Julius Barth ist das erste jüdische Mordopfer in Ulm. Er wurde im Rahmen des Pogroms vom 9. auf den 10. November 1938 nachts aus dem Bett geholt, misshandelt und vorläufig eingesperrt. Am 11.November wurde er zusammen mit weiteren männlichen Ulmer Juden ins KZ Dachau verschleppt. Dort starb er am 24. Dezember 1938; die genaue Todesursache ist ungeklärt. Er wurde am Ulmer jüdischen Friedhof in der Stuttgarter Straße begraben.
Martin Tränkle, Vorsitzender der deutsch-israelischen Gesellschaft (DIG) erinnerte in seiner Rede an das Luther-Jahr und daran, dass Luther mehrere Hetzschriften gegen Juden veröffentlich hat. "Menschen, die Luther verehren, müssen sich von diesem Teil Luthers distanzieren", mahnte Tränkle. Auch kritisierte er, dass der Staat Israel vom rechten und linken Lager in Deutschland kritisiert werde. Für Martin Tränkle gibt es keinen Unterschied zwischen dem Staat Israel sowie seiner Bedeutung und Geschichte und der aktuellen israelischen Politik, die von der Staatengemeinschaft geächtete Siedlungsprojekte auf dem Gebiet der Palestinenser forciert und die Bewohner des Gaza-Streifens im eigenen Gebiet praktisch einsperrt.
Oberbürgermeister Gunter Czisch erinnerte daran, wie wichtig der Bürgersinn in einer Stadt und für deren Bewohner ist. Man müsse immer wachsam sein, damit nichts in Schieflage gerate, dass Menschen zu unrecht beschuldigt oder ausggrenzt werden. Er verurteilte auch die Beschädigungen an der neuen Synagoge. Trotz deutlichen Überwachungsfotos ist der Täter noch immer nicht ermittelt. "Wir passen auf", versprach der OB dem Ulmer Rabbiner Shneur Trebnik.
Die Pogrome im Jahr 1938 markierten den Übergang zur systematischenVerfolgung und Vernichtung des europäischen Judentums. Auslöser der Reichspogromnacht war die Ermordung des deutschen Botschaftssekretärs in Paris durch einen jungen Juden. SA und SS organisierten danach ein reichsweites Pogrom gegen die Juden, das nach außen als spontane Äußerung des „Volkszorns“ wirken sollte. Zum ersten Mal zeigte sich die Gewaltbereitschaft des NS-Regimes deutlich und unverhüllt. Dies führte in den Folgemonaten zu einer Massenflucht aus dem Deutschen Reich.
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