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Ulm News, 27.01.2025 13:30

27. January 2025 von Thomas Kießling
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Klasse Uraufführung – „Kunst heißt leiden“ – und doch sehr viel mehr, denn auch Freude für die Zuschauer


Es war eine Uraufführung im Theater Ulm – und doch nicht dort, sondern im Museum Ulm – passend in den aufgelassenen Trockenbauwänden der bildenden Kunst, wird die darstellende platziert: und doch auch wieder nicht: denn das Stück des Multi-Künstlers Serge Gainsbourg hat viele Kunstfacetten.

Die Uraufführung der einzigen Erzählung von Serge Gainsburg „Das heroische Leben des Evgenij Sokolov“ in Regie und Bühnenfassung von Jessica Sonia Cremer konnte das Publikum begeistern. Eine Kritik.

 

Im brühmtesten Song von Serge Gainsbourg „Je t´aime – moi non plus“? geht es nur um… genau. Im heroischen Leben von Herrn Sokolov geht es ebenfalls um ein menschliches Bedürfnis, das… aber das wollen wir an dieser Stelle gar nicht verraten, nur soviel, dass es meist bei den Männern vorkommt nach bestimmten Regularien des Tages. Dass dies aber der rote Faden ist in einem zum Teil mitreißenden Stück, zeigt die Kritik des Autors an der Kunstszene und dessen Kritik(er), unter denen auch er offenbar zeitlebens -ja: zu leiden hatte: „Kunst heißt leiden“ – und aus dem Leid entsteht dadurch die Kunst die Freude. Oder kann entstehen.

Was heißt eigentlich: „zum Teil mitreißenden Stück“, war denn der andere Teil miserabel? Mitnichten, aber das „Heroische Leben“ wird so pointiert von Schauspielern, Musiker (Cello), der „darstellenden“ Künstlerin gezeigt, dass sie alle Facetten von zich zeigen können: schrill und polternd – feinfühlig und still, Grimassen schneidend, ja geradezu sezierend – und das manchmal in Sekundenbruchteilen.

Regisseurin Jessica Sonia Cremer hat die Klaviatur ganz groß angelegt – Tanzeinlagen inbegriffen, und Kletteraktionen im Stahl-Skelett der Bilder-Wänden eingefügt. Kannte Serge Gainsbourg eigentlich schon Bouldern? Oder war er neben Schauspielern, Komponieren und Schriftstellern nur mit Rauchen beschäftigt? Und mit der anderen Tätigkeit, die wir ja hier nicht verraten wollen.  

So ein Künstlerleben ist vielschichtig und altersabhängig - dass aber gleichzeitig drei Schauspieler ein und dieselbe Person und zu jeder Zeit und in jedem Alter spielen – herrlich alle: Gaëtan Chailly, Vincent Furrer (aktuell für den Max Ophülspreis nominiert), Markus Hottgenroth – und auch die Dame des Ensembles neben ihren Kommentaren fast auch noch in dessen Rolle schlüpft, das Publikum aber spielend folgen und dabei teilweise noch herzhaft lachen kann, ist schon erstaunlich. Und sieht die angesprochene Emma Lotta Wegner nicht auch fast ein bisschen aus wie Jane Birkin? Vielleicht zu viel Projektion, vielleicht hätten sich doch in die ersten Reihen des in U-Form gestellten Stuhlformationen platzieren sollen.

Die drei Sokolovs dokumentieren die Altersstufen des Künstlers bis zum Tod wie dessen immerwährende Schizophrenie: zwischen Anerkennung, Frust, ja eben dem Leiden, der Resilienz bei dem, was man tut, weil man es tun muss. Hält man die Kritiken aus, oder ist man sich selbst sein größter Kritiker – immer diese selbstzerstörenden Selbstzweifel. Darauf noch eine Gitanes – Serge Gainsbourg rauchte offenbar bis zu fünf Schachteln am Tag – sein Tod 1991 glücklicherweise noch vor den großen Gesundheits-Kampagnen.  

(Sinnbildlich) „Kunst ist es doch nur im Auge des Betrachters – in dem des anderen“, resigniert Sokolov schon gegen Mitte des Stücks. „Oh Sokolov, oh Sokolov“, hämen und echoen alle Sokolovs auf der Bühne. Was regt er sich überhaupt auf? Wurde – stetig rauchend - doch mit seiner Kunst berühmt - und geliebt - und geschätzt – und reich - und gehätschelt – halt nicht immer: „Oh, Sokolov - oh, Sokolov“.

Nur knapp 90 Zuschauende sind in der Museums-Beiraum, wo früher und dann nach dem Umbau Werke der Stiftung Fried hingen und hängen, möglich – Experimentelles aushäusig und dennoch viel so vieles gerade am Theater Ulm ausverkauft, in diesem Einakter von Serge Gainsbourg kann man sich fast schon verlieben – gehaucht wie im Lied, oder rausghaucht wie mit einer Gitanes (müsste in der Einzahl eigentlich ohne S nur Gitane heißen. Und verdammt nochmal: wie lange rauchen wir eigentlich schon nicht mehr? Bei dem Stück müsste man glatt wieder anfangen.)

Auch das Begleitheft des „Heroischen Lebens“ umreißt die werkgeschichtliche Einordnung hervorragend, das noch an weiteren 9 Termine im Museum Ulm gezeigt wird (Eintritt im Nebeneingang in der Schelergasse, schräg gegenüber „Hinteres Kreuz“. Die Aufführungen sind auch an unterschiedlichen Wochentagen - kann niemand behaupten, „habe freitags nie Zeit“.

Kleine Behilflichkeit bei den Tickets.

Und hier auch die nächsten Aufführungen. 

Dabei finanziert sich das Stück doch im Prinzip ja selbst, oder gerade schon über, denn zu Beginn wird eine Banane mit Klebeband an die hintere Wand des Schauraums positioniert. Wir bieten ebenfalls wie jüngst 6,7 Millionen Dollar, oder waren es Euro? Kritik an einer der Abarten des Kunstgeschehens, die einem bei Verzehr gerne mal im Halse stecken bleiben könnten. Frag nach bei Sokolov. Da waren es aber die Gitanes, ähm, bei Gainsbourg meinten wir doch, und das ist nicht ganz richtig: an Herzinfarkt, am 2. März 1991.

Serge Gainsbourgs einzige Erzählung jemals – auf 64 Seiten im Deutschen – stammt im französischen Original aus dem Jahr 1980.

 

Fotos: Emma Lotta Wegner, Gaëtan Chailly, Vincent Furrer, Marianne Hollenstein (Malerin), Markus Hottengroth. Foto: Sylvain Guillot

 

Zur weiteren Einordnung: Das schreibt das Theater Ulm zum Stück:

DAS HEROISCHE LEBEN DES EVGENIJ SOKOLOV

nach dem Roman von Serge Gainsbourg

Bühnenfassung für das Theater Ulm von Jessica Sonia Cremer

Beru?hmt wird man im Kunstbetrieb durch Talent, Können, aber zumeist auch durch irritierende Originalität und Verblüffung. Serge Gainsbourg wusste das genau und er vermochte mit seiner Kunst ebenso zu begeistern wie durch skandalträchtige Auftritte und Aktionen gezielt zu provozieren. Nicht allein mit seinen Werken, sondern auch als Unangepasster gelangte er so zu dauerhaftem Ruhm. Doch ist dieser Zwang, stetig erneut außergewöhnlich zu sein, nicht etwas, das einen als Künstler allmählich ruiniert?

Mit seinem einzigen genialischen und tragikomischen Mini-Roman über den Maler Evgenij Sokolov hat Gainsbourg ein groteskes wie anrührendes Zerr-Spiegelbild seiner selbst als Ku?nstler und des Kunstbetriebs geschaffen: Als Sokolov entdeckt, dass er ein ihn seit der Kindheit plagendes Leiden — dauerhafte Flatulenzen — als ›Antriebsmittel‹ für Maltechnik und Bildkreationen nutzen kann, wird er mit seinen »Gasogrammen« zum Star und reich. Doch von nun an schier verdammt, stets noch das Intimste nach außen zu kehren, kostet ihn die durch den Exzess errungene Beru?hmtheit schließlich das Leben.

Diese in der europäischen Literatur einzigartige Künstler- Beichte ist provokant, humoristisch und ergreifend zugleich. Sie wird als turbulente Performance naturgemäß an einem Kunstort — dem Museum Ulm — uraufgeführt.

Das Stück wurde die Woche vor der Ulmer Uraufführung mit einer ausverkauften Matinée eingeführt.

 



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